Oktober bis Dezember 

Pfeilschwanzkrebse

Pfeilschwanzkrebse (Familie Limulidae) sind wirbellose Tiere, die zur Tiergruppe der Schwertschwänze (Ordnung Xiphosura) gehören. Diese Namen leiten sich von dem auffälligen Anhang des hinteren Körperbereiches ab, der wie eine Schwertklinge oder wie ein Pfeil aussieht. Auf den breiten Vorderkörper bezieht sich dagegen der Name Hufeisenkrebs. Krebse sind die Tiere aber keinesfalls. Schwertschwänze gehören nach neueen Ergebnissen modernster genetischer Analysen zu den Spinnentieren und sind damit eng mit Spinnen, Skorpionen und Zecken verwandt [1], obwohl sie zehn statt acht Beine haben. Wie andere Gliederfüßer, zu denen neben den Spinnentieren auch die Insekten und Krebse gehören, besitzen Pfeilschwanzkrebse eine feste, den Körper umschließende Außenhaut, das Exoskelett. Allerdings wächst diese Haut – im Falle der Schwertschwänze ein richtiger Panzer – nicht mit und muss im Laufe des Lebens immer wieder abgestreift werden. Die neue Haut entsteht unter der alten und muss nach der Häutung erst wieder aushärten. Während des Häutungsprozesses sind die Tiere daher sehr empfindlich. Schon geringe Störungen können dafür sorgen, dass die Häutung nicht fehlerfrei abläuft!

Ursprüngliche Schwertschwänze erschienen auf der Erde vor über 480 Millionen Jahren und lebten artenreich in Meer- und Süßwasser. Im Gegensatz zu vielen anderen alten Gruppen, z. B. Trilobiten oder Seeskorpionen, haben sie diverse Massenaussterben überlebt [2]. Es sind 87 fossile Arten bekannt. Heute leben aber nur noch vier Arten, deren Biologie und Aussehen sich über die letzten 350 Millionen Jahre nur noch wenig verändert hat [3, 4, 5, 6]. Zu der Entwicklung der Schwertschwänze forscht unter anderem auch unser Leiter des Referats für Paläontologie und Evolutionsforschung, Dr. Julien Kimmig [7, 8, 9].

Das heutige Vorkommen dieser Pfeilschwänze beschränkt sich auf nur wenige Regionen. Der Atlantische Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus) kommt ausschließlich an der Atlantikküste Nordamerikas und in Teilen des Golfs von Mexiko vor. Der Dreistachelige Pfeilschwanzkrebs (Tachypleus tridentatus), der Indopazifische Pfeilschwanzkrebs (Tachypleus gigas) und der Mangroven-Pfeilschwanzkrebs (Carcinoscorpius rotundicauda) hingegen sind nur in Lebensräumen mit Flach- und Brackwasser in Südostasien zu finden [2]. Alle lebenden Arten ernähren sich hauptsächlich von Weichtieren (Muscheln und Schnecken).

Trotz ihrer langen Überlebensgeschichte sind die Pfeilschwanzkrebse heute gefährdet, hauptsächlich durch menschliche Einflüsse und den Verlust ihrer Lebensräume. Durch Wasserverschmutzung, den Verbau von Küstenlinien mit Betonelementen und den Bau von Straßen in Küstennähe werden wichtige Laichhabitate der Tiere verkleinert oder vollständig zerstört. Die Fischerei ist ein weiterer Grund für den Rückgang der Populationen von Pfeilschwanzkrebsen. Sie werden gezielt für den menschlichen Verzehr gefangen oder landen als ungewollter Beifang in den Fangnetzen [2]. In den USA und Asien werden sie zudem für medizinische Zwecke genutzt. Den Tieren wird bis zu ein Drittel ihres hellblauen Blutes entnommen. Dieses enthält ein Protein (Faktor C), das auf von Kolibakterien und Salmonellen ausgeschiedene Giftstoffe reagiert, indem es gerinnt und diese somit bindet. Sogenannte Limulus- oder Tachypleus-Amöbozyten-Lysa-Tests (LAL/TAL) werden verwendet, um pharmazeutische Erzeugnisse auf solche Endotoxine zu testen, bevor sie in Umlauf gebracht werden [10, 11]. Ein Liter Pfeilschwanzblut wird für ca. 15.000 € gehandelt. Die meisten Pfeilschwänze werden nach der Blutentnahme wieder ins Meer entlassen, aber die kurzfristige Sterberate der etwa eine Million pro Jahr gefangenen Tiere wird dabei auf 15 % geschätzt, Langzeiteffekte sind bisher noch unbekannt [11]. Um die eindrucksvollen letzten Schwertschwanzarten zu schützen, gibt es in den USA inzwischen Fangquoten, in Mexiko stehen sie unter Naturschutz. In Asien sind sie hingegen nicht geschützt. Um den Schutz weiter zu verbessern, wurden inzwischen zahlreiche Schutzgebiete und Reservoirs ausgewiesen. Außerdem wird von einer Gruppe der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN), die sich für den Erhalt der Pfeilschwanzkrebse einsetzt, die Horseshoe Crab Specialist Group, das Ziel verfolgt, die Tiere als erste „Weltkulturerbe-Art“ in das UNESCO Weltkulturerbe-Programm aufzunehmen [2].

Pfeilschwanzkrebse im Naturkundemuseum Karlsruhe
Bis zum Umbau des Vivariums im Jahr 2013 gab es im Naturkundemuseum ein Flachwasserbecken mit lebenden Atlantischen Pfeilschwanzkrebsen (Limulus polyphemus). Unter anderem konnte man hier gut beobachten, wie sich die Tiere im Sand eingruben. Gefüttert wurden sie mit Sandgarnelen und Würmern. Da die Pfeilschwanzkrebse nicht in das Konzept der neuen Dauerausstellung ‚Form und Funktion‘ passten, wurden die Tiere vor dem Umbau an die Stuttgarter Wilhelma abgegeben.

 

Quellen

[1] Ballesteros, J. A. & Sharma, P. P. (2019). A Critical Appraisal of the Placement of Xiphosura (Chelicerata) with Account of Known Sources of Phylogenetic Error. Systematic Biology, 68: 896–917, https://doi.org/10.1093/sysbio/syz011

[2] Botton, M. L., John, B. A., Carmichael, R. H., Mohamad, F., Bhadury, P., Zaldivar-Rae, J., Shin, P. K., Tanacredi, J. T. & Cheung, S. (2022). Horseshoe Crabs: “Living Fossils” Imperiled in the Anthropocene. In Elsevier eBooks (S. 715–726), https://doi.org/10.1016/b978-0-12-821139-7.00103-3

[3] Lamsdell, J. C. (2020). The phylogeny and systematics of Xiphosura. PeerJ 8, e10431, doi.org/10.7717/peerj.10431

[4] Bicknell R. D. C. & Pates S. (2020). Pictorial atlas of fossil and extant horseshoe crabs, with focus on Xiphosurida. Frontiers in Earth Science 8:98, doi.org/10.3389/feart.2020.00098

[5] Lamsdell J.C., Isotalo, P.A., Rudkin D.M. & Martin, M.J. (2023). A new species of the Ordovician horseshoe crab Lunataspis. Geological Magazine 160: 167-171, https://doi:10.1017/S0016756822000875

[6] Hu, S., Feldmann, R. M., Schweitzer, C.E., Benton, M.J., Huang, J., Wen, W., Min, X., Zhang, Q., Zhou, C. & Zhixin, M. (2022). A new horseshoe crab from the Permian-Triassic transition of South China: Xiphosurids as key components of post-extinction trophic webs. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology 602:111178, https://doi.org/10.1016/j.palaeo.2022.111178

[7] Bicknell, R. D. C., Kimmig, J., Budd, G. E., Legg, D. A., Bader, K.S., Haug, C., Kaiser, D., Laibl, L., Tashman, J. N. & Campione, N. E. (2022). Habitat and developmental constraints drove 330 million years of horseshoe crab evolution: Biological Journal of the Linnean Society 136: 155–172

[8] Leibach, W. W., Rose, N., Bader, K., Mohr, L. J., Super, K. & Kimmig, J. (2020). Horseshoe crab trace fossils and associated ichnofauna of the Pony Creek Shale Lagerstätte, Upper Pennsylvanian, Kansas, USA. Ichnos 28: 34–45

[9] Bicknell, R. D. C., Kimmig, J., Smith, P. M. & Scherer, T. (2024). An Enigmatic Euchelicerate from the Mississippian (Serpukhovian) and Insights into Invertebrate Preservation in the Bear Gulch Limestone, Montana. American Museum Novitates 2024(4008): 1-16, https://doi.org/10.1206/4008.1

[10] Hentsch, A.-K. (2020). Pfeilschwanzkrebse: Darum kostet ein Liter ihres Blutes 15.000 €. National Geographic. Abgerufen am 22. Juli 2024, von https://www.nationalgeographic.de/tiere/2020/09/pfeilschwanzkrebse-darum-kostet-ein-liter-ihres-blutes-15000-eu

[11] Smith, D. R., Newhard, J. J., McGowan, C. P. & Butler, C. A. (2020). The Long-Term Effect of Bleeding for Limulus Amebocyte Lysate on Annual Survival and Recapture of Tagged Horseshoe Crabs. Frontiers in Marine Science 7, doi.org/10.3389/fmars.2020.607668