April bis Juni

Botanische Schätze
Belege aus dem Herbar von Carl von Linné

Das Herbar Karlsruhe enthält Belege, die aus dem Jahr 1703 stammen. Sie kamen beim Umzug der botanischen Sammlung vom Haupthaus in das Außendepot ans Licht. Die Herkunft ist mit "ex. Lapponia 1703“ (aus Lappland 1703) angegeben. Natürlich dachte das Botanik-Team an eine Verbindung zum berühmten schwedischen Naturforscher Carl von Linné, da solch alte Belege aus dem Norden Skandinaviens nur von schwedischen Botanikern stammen können.

Unsere Belege sind jedoch älter als Carl von Linné (1707–1778). Sein Professor, der Botaniker Olof Rudbeck der Jüngere (1660–1740), unterrichtete an der Universität in Uppsala und war der erste Botaniker, der im hohen Norden sammelte. Der größte Teil des Materials seiner Lapplandexpedition von 1695 verbrannte 1702 in Uppsala. Ein kleiner Teil blieb jedoch erhalten, da Rudbeck Belege seiner Sammlung an andere weitergegeben hatte, darunter wohl auch sein Schüler Carl von Linné.

Aus dem Studenten Carl von Linné wurde einer der bedeutendsten Naturforscher. Er schuf mit seiner Arbeit die Grundlagen der modernen botanischen und zoologischen Systematik. Er ordnete und gruppierte Pflanzen und Tiere nach bestimmten Merkmalen und benannte sie. Mit seinem umfassenden Werk „Systema Naturae“ etablierte er spätestens ab der 10. Auflage von 1785 die moderne zweiteilige Benennung von Arten, bestehend aus einem Gattungsnamen und einem Artzusatz, zum Beispiel Homo sapiens L. (Mensch) oder Bellis perennis L. (Gänseblümchen), wobei das Kürzel „L.“ für den Erstbeschreiber Linné steht.

Zuerst vermutete unser Botanik-Team, dass Linné die Belege selbst als Geschenk an Markgräfin Karoline Luise geschickt haben könnte, mit der er in Kontakt stand. Dies ist allerdings nicht dokumentiert. Der wahrscheinlichere Weg führte über den ersten Direktor des Karlsruher Naturalienkabinetts, Carl Christian Gmelin (1762–1837), nach Karlsruhe. Als Gmelin die gesamte Sammlung des Naturalienkabinetts 1794 nach Ansbach auslagern musste, um sie vor einem drohenden Einmarsch französischer Truppen zu schützen, führte er seine botanischen Studien an der Universität Erlangen fort – unter Johann Christian von Schreber (1739–1810). Schreber hatte an der Universität Uppsala studiert und war selbst ein Schüler von Linné. In seiner eigenen Sammlung befanden sich zahlreiche Belege aus Linnés Herbarium. Wie auch heute noch in der Wissenschaft üblich, tauschten Schreber und Gmelin ebenfalls Herbarbelege aus. Und so tragen die Etiketten unter anderem auch die Handschrift Gmelins, der die Belege bearbeitete.

Längere Zeit wurde angenommen, dass die komplette Karlsruher Pflanzensammlung im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe zerstört wurde. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Großteil der Pflanzensammlungen um 1875 vom damaligen Großherzog an den Chefbibliothekar der Großherzoglichen Bibliothek und Direktor des Naturalienkabinetts Johann Christoph Döll (1808–1885) verkauft wurde. Die ab diesem Zeitpunkt "Herbar Döll" genannte Sammlung kam zum Badischen Botanischen Verein nach Freiburg, danach an die Universität Freiburg und 1962 schließlich wieder als Schenkung an das Naturkundemuseum Karlsruhe. Entgegen aller Befürchtungen ist der kostbare, alte Teil der Sammlung also nicht im Jahr 1942 verbrannt.

Die Pflanzensammlungen des Naturkundemuseums Karlsruhe, mit den Linné-Belegen und der erst kürzlich "wiederentdeckten" Gmelin-Sammlung aus dem frühen 19. Jahrhundert, gehören damit zu den ältesten und wichtigsten Sammlungen in Deutschland.

 

Die drei Belege von Linné stammen von folgenden Pflanzen:

1. Lappländisches Läusekraut Pedicularis lapponica L.

2. Karlszepter/Moorkönig Pedicularis sceptrum-carolinum L.

Pedicularis sp. ist eine Gattung von krautigen und mehrjährigen Pflanzen subarktischer und subalpiner Ökosysteme der Nordhalbkugel. Sie gelten als Reliktpflanzen aus der Eiszeit, also als Überreste kältetoleranter Arten, die nach den Eiszeiten selten wurden oder sogar ausgestorben sind. Das namensgebende lateinische Wort "Pediculus" bedeutet "Laus" und bezieht sich auf einen alten englischen Glauben, dass Läuse Vieh befallen, das diese Pflanzen weidet. Das Läusekraut erhält einen Teil seiner Nährstoffe durch Wurzelverbindungen zu benachbarten Pflanzen, was es zu einem Halbparasiten macht. Es bevorzugt gemäßigte Berg­regionen, vor allem Wiesen mit geringer Vegetation.
Läusekraut wird aufgrund seiner anti­bakteriellen, entzündungshemmenden, schmerzlindernden und harntreibenden Eigenschaften für medizinische Zwecke verwendet, vor allem auch in der traditionellen chinesischen Medizin.

3. Moor-Steinbrech Saxifraga hirculus L.

Der Moor-Steinbrech ist eine mehrjährige, krautige Pflanze subarktischer und subalpiner Ökosysteme der Nordhalbkugel. Er gilt ebenfalls als Reliktpflanze der Eiszeit. Außerhalb der Polargebiete ist die Art in den letzten 200 Jahren durch die Zerstörung und Fragmentierung ihres Lebensraums (insbesondere Feuchtgebiete), Aufforstung, Entwässerung und Überweidung stark zurückgegangen. Sie ist weltweit gefährdet und in Europa vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden. Innerhalb der Europäischen Union ist der Moor-Steinbrech in der FFH-Richtlinie als streng geschützte Art von gemeinschaftlichem Interesse aufgeführt. Die Population in den Jurabergen der Schweiz gilt als die größte in Mitteleuropa. In Deutschland, wo sie ebenfalls streng durch das Bundesnaturschutzgesetz geschützt ist, wurde sie seit über 20 Jahren in Baden-Württemberg und Bayern nicht mehr gefunden – also in Regionen, in denen sie früher vorkam. Erhaltungsstrategien, die der Art helfen könnten, sind Beweidung durch Vieh, Mähen, Wiedereinführung und Substratmanagement. Außerhalb Europas, zum Beispiel in Pakistan, wird Moor-Steinbrech als Aufguss bei Husten, Brustbeschwerden und Atemwegserkrankungen eingesetzt.