Gottesanbeterinnen
Mantodea – unsere „Hidden Champions“
Mit Ihren großen Facettenaugen, dem dreieckigen Kopf und ihren dornenbewehrten Fangarmen sehen Gottesanbeterinnen aus wie von einem anderen Stern. So mögen auch schon in der ein oder anderen Science-Fiction-Geschichte die Gottesanbeterinnen zum Vorbild für außerirdisches Leben gedient haben. Zumindest auf unserem Planeten ist die Ordnung der Fangschrecken, wie sie auch genannt werden, mit ihren zahlreichen Arten auf nahezu allen Kontinenten vertreten. Lediglich in der Antarktis ist es ihnen zu kühl.
Mit was für einer Vielfalt die Gottesanbeterinnen auftreten, wird schon an den unterschiedlichen Erscheinungsbildern der insgesamt 2452 Arten aus 453 Gattungen deutlich. Das spiegelt sich auch in der Sammlung des Naturkundemuseums wider: Hier finden sich 12.780 Exemplare aus 904 Arten/Unterarten. Der größte Teil der Sammlung ist Reinhard Ehrmann zu verdanken, der von 1996 bis 2008 als entomologischer Präparator am Naturkundemuseum Karlsruhe tätig war und von seinen Sammlungsreisen Gottesanbeterinnen mitbrachte. 1998 und 1999 erwarb das Naturkundemuseum seine Sammlung. Seitdem kamen immer mehr Ankäufe und Schenkungen dazu, sodass nun in unserem Magazin eine der weltweit umfangreichsten Gottesanbeterinnen-Sammlungen lagert – damit sind die oft wenig beachteten Gottesanbeterinnen echte „Hidden Champions“ unseres Museums.
Warnen, tarnen und täuschen
Doch so unterschiedlich sie auch aussehen, in ihrem jeweiligen Lebensraum sind Gottesanbeterinnen perfekt getarnt. So imitiert beispielsweise die in Ostafrika verbreitete Teufelsblume (Idolomantis diabolica) eine Blüte und ist damit nicht nur vor Fressfeinden geschützt – sondern wird auch von ihrer Beute nicht so schnell bemerkt. [1] Andere Arten, wie die ebenfalls in Ostafrika vorkommende Große Astmantis (Heterochaeta orientalis) ähneln Zweigen. [2] Die Westafrikanische Mantis (Pseudocreobotra ocellata) und die Afrikanische Blütenmantis (Pseudocreobotra wahlbergii) haben Ausstülpungen an Hinterleib und Beinen, die wie viele kleine Blüten aussehen. [3] Aber nicht nur in Farbe und Form sind Gottesanbeterinnen wahre Meisterinnen der Tarnung: Mit ihren Bewegungen täuschen sie Pflanzenteile vor, die sich im Wind bewegen. [1]
Fliegt die Tarnung doch einmal auf, hilft nur noch eines: Abschreckung. Die Westafrikanische Mantis (P. ocellata) und die Afrikanische Blütenmantis (P. wahlbergii) haben dazu auf ihren Flügeldecken große schwarze, bedrohlich wirkende Augenflecken. [4] Manche Arten breiten ihre Fangarme und Flügel weit aus, um größer zu wirken. [1] Die Teufelsblume (I. diabolica) und auch die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa) reiben das Ende ihres Hinterleibes an den aufgestellten Flügeln, um das Zischen einer Schlange zu imitieren.[1]
Geduldige Räuberinnen
Was ihre Beute angeht, sind Gottesanbeterinnen nicht wählerisch. Sie ernähren sich von Insekten, Spinnen oder sogar von Reptilien und Amphibien. Die australische Art Hierodula wernerii und die Peruanische Schildmantis (Choeradodis rhombicollis) wurden sogar dabei beobachtet, wie sie kleine Vögel erbeuteten. [1;5]
Gut getarnt sitzen Gottesanbeterinnen meist stundenlang reglos da und warten, bis sich ihnen Beute nähert. Ihre Fangarme haben sie dabei wie betende Hände vor der Brust gefaltet, was ihnen im Deutschen auch den Namen „Gottesanbeterinnen“ verlieh. Blitzschnell und für das menschliche Auge kaum zu sehen schnappen sie dann mit ihren dornenbesetzten Fangarmen zu. Aber nicht alle Arten warten bequem, bis ihnen die Beute vor die Nase läuft. Die Arten der Wüstenmantiden (Eremephilia) müssen da schon mehr Aufwand betreiben. Mit ihren langen Beinen können sie sehr schnell laufen, was ihnen das Leben am Boden und die aktive Jagd auf Insekten ermöglicht. [6]
Gefährliche Liebschaft
Ein Weibchen zur Paarung zu finden, ist für die Männchen kein leichtes Unterfangen, denn zunächst müssen sie ihre Angebetete überhaupt finden. Bei den Haubenfangschrecken (Empusa pennata und E. fasciata) beispielsweise haben die Männchen dafür auffällige, doppelt gefächerte Fühler, mit denen sie die Lockstoffe der Weibchen wahrnehmen. [7]
So können die Weibchen an ihrem Standort warten, bis das Männchen sie gefunden hat. Bei vielen Arten der Gottesanbeterinnen können aus diesem Grund nur die Männchen fliegen. Die Männchen der Gattung Parasphendale sind sogar wahre Flugkünstler. Auf ihren nächtlichen Suchflügen nach Weibchen weichen sie jagenden Fledermäusen aus. [8] Sie nehmen dafür die Ultraschallrufe der Fledermäuse mit einem Hörorgan wahr, das auf der Unterseite der Brust liegt. [1]
Die Männchen der Grauen Fangschrecke (Ameles decolor) aus dem Mittelmeergebiet [9] überzeugen ihre Weibchen mit tänzerischer Begabung. Zur Paarung führen sie einen Balztanz auf, bei dem sie die Fangarme und den Hinterleib auf und ab bewegen und rotieren. [10]
Gefährlich bleibt es für die Männchen der meisten Arten auf jeden Fall: Nähern sie sich unvorsichtig, werden sie verspeist. Mehr Glück haben die Männchen, wenn sie sich von hinten nähern. [11] Aber auch während der Paarung kann es vorkommen, dass ein hungriges Weibchen seinen Gatten von Kopf bis Fuß verspeist [12] – Liebe geht eben durch den Magen. Die Eier legt das Weibchen dann in einer sogenannten Oothek ab, einem Eipaket, in dem sie durch einen ausgehärteten Schaum gut geschützt sind. [1]
Profiteurinnen des Klimawandels
Gottesanbeterinnen mögen es warm. In Deutschland kam die einzige heimische Art, die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa) deshalb lange nur im Süden vor. Vor allem die sonnenexponierten und extensiv genutzten Hänge am Kaiserstuhl bieten ihr einen optimalen Lebensraum, allerdings einen begrenzten. Noch ist die Europäische Gottesanbeterin auf der Roten Liste der Fang- und Heuschrecken als „gefährdet“ eingestuft.[13]
Das könnte sich allerdings bald ändern: Die Ausbreitung dieser wärmeliebenden Art wird durch die Klimaerwärmung begünstigt. [13] Mittlerweile kann sie sogar in Berlin gefunden werden.[14]
Eine andere Art, die in den letzten Jahren ihr Verbreitungsgebiet erweitert hat, ist die Riesenmantis (Hierodula tenuidentata). Sie war ursprünglich zwischen Indien und Zentralasien beheimatet, breitete sich aber wahrscheinlich über den Balkan und Griechenland bis nach Italien aus. [15] Vielleicht wird sie in Zukunft sogar nach Süddeutschland kommen?
Weiterführende Links:
Ehrmann, R. (2002). Mantodea: Gottesbeterinnen der Welt. Natur und Tier-Verlag.
Quellen:
[1] Ehrmann, R. (2002). Mantodea: Gottesbeterinnen der Welt. Natur und Tier-Verlag.
[3] Hu, Y., & Moczek, A. P. (2021). Wing serial homologues and the diversification of insect outgrowths: insights from the pupae of scarab beetles. Proceedings of the Royal Society B, 288(1943), 20202828.
[4] Svenson, G. J., Hardy, N. B., Cahill Wightman, H. M., & Wieland, F. (2015). Of flowers and twigs: phylogenetic revision of the plant‐mimicking praying mantises (M antodea: E mpusidae and Hymenopodidae) with a new suprageneric classification. Systematic Entomology, 40(4), 789-834.
[5] en.wikipedia.org/wiki/Choeradodis_rhombicollis
[6] Doganlar, M. (2007). A new species of the genus Eremiaphila Lefèbvre, 1835 (Mantodea: Eremiaphilidae) from Turkey. Australian Journal of Basic and Applied Sciences Research, 1(1), 1-6.
[7] mantisonline.info/index.php mantids_view&content={%22subshow%22:%22index%22,%22level_left_view%22:%22%22,%22level_left_species_mode%22:%22general%22,%22species%22:%22fasciata%22,%22genus%22:%22empusa%22,%22level_left_species%22:%22index%22}
[8] Yager, D. D., May, M. L., & Fenton, M. B. (1990). Ultrasound-triggered, flight-gated evasive maneuvers in the praying mantis Parasphendale agrionina. I. Free flight. Journal of Experimental Biology, 152(1), 17-39.
[9] www.pyrgus.de/Ameles_decolor.html
[10] Battiston, R. (2008). Mating behavior of the mantid Ameles decolor (Insecta, Mantodea): courtship and cannibalism. Journal of Orthoptera Research, 17(1), 29-33.
[11] Maxwell, M. (1999). The risk of cannibalism and male mating behavior in the Mediterranean praying mantid, Iris oratoria. Behaviour, 136(2), 205-219.
[12] Maxwell, M. R. (1998). Lifetime mating opportunities and male mating behaviour in sexually cannibalistic praying mantids. Animal Behaviour, 55(4), 1011-1028.
[14] www.naturkundemuseum-potsdam.de/gottesanbeterin-gesucht
[15] Battiston, R., Leandri, F., di Pietro, W., & Andria, S. (2018). The Giant Asian Mantis Hierodula tenuidentata Saussure, 1869 spreads in Italy: a new invasive alien species for the European fauna? (Insecta Mantodea). Biodiversity Journal, 9(4), 399-404.