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Vorwort
Vorwort
Der Odenwald ist ein kleines, größtenteils bewal-
detes Mittelgebirge. Abgesehen vom reizvollen,
in den südlichen Teil des Gebirges eingeschnit-
tenen Neckartal ist es landschaftlich eher arm an
ausgesprochenen Höhepunkten. Nur bis in Hö-
hen von gut 600 m Höhe ü. NN aufsteigend, mit
einem nahezu ausschließlich von silikatischen
Gesteinen gebildeten Untergrund und wenigen
Felsmassiven, nur mäßig hohen Niederschlägen
und ausgedehnten Nadelholzforsten im Osten,
lässt es floristisch wenig erwarten. So wundert
es nicht, dass der Odenwald größtenteils ausge-
sprochen stiefmütterlich auch von Lichenologen
behandelt wurde und beinahe als weißer Fleck
in die flechtenkundliche Landkarte eingegangen
wäre – hätte nicht von Zwackh-Holzhausen die
Umgebung von Heidelberg besammelt und seine
Ergebnisse publiziert.
So sehr auch namhafte Lichenologen einen Bo-
gen um den Odenwald geschlagen haben und so
karg die Information über die Flechtenflora des
Odenwaldes im Allgemeinen war, so mannigfal-
tig und eindrucksvoll ist das, was von Zwackh-
Holzhausen, Rittmeister und Gutsbesitzer, vor
weit über 100 Jahren – etwa 1855 beginnend
– an Flechtennachweisen für den Heidelberger
Raum zusammengetragen hat. Auf einen sehr
kleinen Wirkungsradius beschränkt, widmete er
sich der Flechtenflora seines Wohnortes und
dessen näherer Umgebung mit solcher Akribie,
dass Heidelberg fortan als die besterforschte
Kleinregion Mitteleuropas, ja vielleicht Europas
zu gelten hatte und – auch dank reger Tausch-
tätigkeit – entsprechend häufig als Fundort in
der Flechtenliteratur Berücksichtigung fand. Auf
wenigen Quadratkilometern fand von Zwackh-
Holzhausen gut 500 Flechtenarten und 30 flech-
tenbewohnende Pilzarten! Die Güte seiner Be-
stimmungen ist dabei exzellent. Bis heute ist die
Gründlichkeit seiner Erfassung in Deutschland
unerreicht, und man fragt sich unwillkürlich, was
von Zwackh-Holzhausen an Kenntnissen ange-
sammelt hätte, wäre er zeitlich und verkehrs-
technisch in der Lage gewesen, einen größeren
Raum zu erfassen.
Noch ein Zweiter hat sich der Flechtenflora des
Odenwaldes gründlich genähert: Otto Behr. Au-
ßerordentlich fleißig im Sammeln, mit einem den
größten Teil des Odenwaldes abdeckenden Ex-
kursionsprogramm, stellte er Anfang der 1950er
Jahre die erste Flechtenflora des Odenwaldes
zusammen. Erst spät mit der Materie in Berüh-
rung gekommen, hatte er im Nachkriegsdeutsch-
land mit seiner für die Flechten erwachten Zu-
neigung einen sehr ungünstigen Zeitabschnitt
für diese spezielle Form der Scientia amabilis
„auserkoren“. Es gab im Land kaum noch Flech-
tenkenner. Die wenigen lichenologisch Versier-
ten hatten nicht die Muße, in dieser bewegten
Zeit sich mit anderer Leute Proben zu befassen
oder waren bereits kurz zuvor verstorben, wie
Lettau, Erichsen oder Hillmann, oder hatten
nicht die Kenntnisse und die Gründlichkeit, wie
sie – merkwürdig genug – noch 50 Jahre zuvor
Standard gewesen waren und zwei Jahrzehnte
danach wieder Standard wurden. Über Literatur
verfügte Behr wohl nur in sehr eingeschränk-
tem Maße, und Beziehungen zum Ausland mit
Austausch von Informationen und Proben wa-
ren noch kaum möglich. So muss Otto Behr
bei aller Liebe zu den Flechten, besonders zu
der schwierigen Gruppe der pyrenocarpen Ar-
ten, und mancherlei Erfolgen auch darunter
gelitten haben, die Bestimmung der oftmals
sehr merkmalsarmen oder dürftig entwickelten
Proben nicht immer in den Griff bekommen zu
haben. Wir wollen seinen Enthusiasmus für die
Flechten und seine Arbeit für die Erkundung der
Flechtenflora des Odenwaldes ehren, indem wir
ihm dieses Buch widmen, das auch noch einmal
zusammenfasst und revidiert, was Otto Behr
hinterlassen hat.
Diese Flechtenflora des Odenwaldes stellt die
Ergebnisse vor, welche die Verfasser in flächen-
deckender Geländetätigkeit über einen Zeitraum
von gut 20 Jahren zusammengetragen haben.
Die Untersuchungen waren sichtlich begünstigt
durch zunehmend sich verbessernde Bedingun-
gen für die Flechtenflora und -vegetation, was
sich in deutlich steigenden Zahlen von Vorkom-
men, verbesserter Vitalität und (Wieder) Ein-
wanderung von Arten niedergeschlagen hat.
Allerdings konnten zahlreiche Arten, insbeson-
dere ozeanische Arten, die noch zu Zwackh-
Holzhausens Zeiten präsent waren, nicht wieder
aufgefunden werden; die meisten dürften nur
geringe Wiederansiedlungschancen haben. So
nimmt diese Arbeit immer wieder Bezug auf die
Dynamik der Flechtenvegetation, belegt Zunah-
men und Gefährdungen und leistet damit einen
Beitrag zum Naturschutz
Das vorliegende Werk belegt, wie artenreich sich
ein kleines, in seiner standörtlichen Mannigfal-
tigkeit durchaus „mittelmäßiges“ Gebiet erweist
bzw. erweisen kann. Aktuell konnten 660 Flech-
tenarten und 78 flechtenbewohnende Pilze im
verhältnismäßig kleinen Naturraum Odenwald
nachgewiesen werden. Insgesamt – inklusive
historischer, nicht mehr bestätigter Funde – sind
somit 829 Flechtenarten und 94 Arten flechten-
bewohnender Pilze im Odenwald bekannt. Dies
sind erstaunliche Zahlen. Sie mögen Ermutigung