Seite 6 - Andrias 18

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andrias, 18
(2010)
wicklungsländer treffen. Fazit des Studienleiters
und ehemaligen Top-Bankers P
avan
S
ukhdev
ist:
Die Zeit, die Artenvielfalt zu ignorieren und bei
Wohlstandsvermehrung und Entwicklung auf
konventionellem Denken zu beharren, ist vor-
bei.“
Naturfreunde und umweltbewusste Menschen
erfahren die Schönheit der Natur regelmäßig
und erkennen den Wert der biologischen Vielfalt
mit all ihren Facetten. Der Schutz der Arten und
Lebensräume ist ihnen auch eine ethisch-mora-
lische Verpflichtung. Für Biologen ist der Begriff
der (Bio-) Diversität mit einer Fülle von Aspek-
ten, Fragen und Herausforderungen verknüpft.
Die gängige Definition der Biodiversität umfasst
ja neben der Vielfalt der Arten auch die allen Le-
bensformen eigene genetische Vielfalt sowie die
Verschiedenartigkeit der Ökosysteme.
Viele Menschen haben aber trotz der Aktualität
und vielfältigen Berichterstattung offensichtlich
immer noch Mühe mit der wahren Bedeutung
der Begriffe Biodiversität und Biologische Viel-
falt. Das ist erstaunlich, wissen wir doch auch
in unserer modernen, häufig naturfremden Ge-
sellschaft Vielfalt = Diversität in vielen Bereichen
sehr zu schätzen. So ist ein vielfältiges Waren-
angebot auf den Märkten für uns verknüpft mit
vielen positiven Aspekten: (Aus-) Wahl, Alterna-
tiven, Abwechslung, ästhetischem Spektrum an
Farben, Formen, Größen, Geschmacksrichtun-
gen und Anwendungen. Vielfältige Ausbildungs-
wege führen zu erfolgreichen Berufen, ständig
neue Erfahrungen und Verhaltensweisen ermög-
lichen die Anpassung der Gesellschaft an sich
stetig ändernde Bedingungen. Alles ganz ähnlich
wie in unserer belebten Umwelt. Die biologische
Vielfalt, die durch die Evolution entstanden ist,
und das natürliche Kapital in Form der biogenen
Ressourcen (Wasser, Luft, Kohle, Erdöl, Nah-
rungsmittel, Holz,) bilden und erhalten ja erst die
Grundlage unseres Lebens.
Bedroht ist die Artenvielfalt überall, über den
Rückgang der Wildnisgebiete und naturnaher
Lebens­räume, durch die enorme Ausweitung
der Nutzung durch Jagd, Fischfang, Land- und
Forstwirtschaft sowie Freizeitaktivitäten. Riesige
produktive Landschaften wurden und werden
für Siedlungen und Verkehrswege vollständig
umgewandelt, versiegelt, zerschnitten. Noch ar-
tenreiche Kulturlandschaften verarmen durch
Intensivierung der Nutzung, immer häufiger
aber auch durch die Aufgabe traditioneller nach-
haltiger Wirtschaftsweisen.
Der Klimawandel
wird den Artenverlust noch beschleunigen und
verstärken, da durch die bereits erfolgte Verrin-
gerung und Zerschneidung von Lebensräumen
Wanderungen und Veränderungen von Verbrei-
tungsarealen für viele Arten als Reaktion auf ver-
änderte Klimabedingungen nicht mehr möglich
sind und sein werden. Bereits verringerte Popu-
lationsgrößen und Bandbreiten der genetischen
Ausstattung von Arten mindern darüber hinaus
die Anpassungsfähigkeit der Arten an veränder-
te Klimabedingungen. Die Entkoppelung bisher
zusammenlebender Arten wird zur Veränderung
ganzer Ökosysteme führen. Umgekehrt wird
der weltweite Artenrückgang die Auswirkungen
des Klimawandels auf den Menschen in vielen
Regionen verstärken, da mit den Arten auch
Funktionen und für den Menschen wichtige Öko-
systemdienstleistungen (ecosystem services)
wie Bereitstellung von Nahrung und Wasser, Bo-
denbildung, Nährstoffkreislauf, Erosionsschutz
u.v.m. verloren gehen.
Der Verlust der Artenvielfalt verläuft dabei für die
meisten weitgehend unbemerkt. Viele Menschen
besitzen keine Artenkenntnisse (mehr) und ihnen
ist ein Gefühl für den Zustand der „Natur“ abhan-
den gekommen. Der Artenverlust ist aber auch
von der Wissenschaft bisher unzureichend do-
kumentiert, da die existierende Artenvielfalt noch
völlig ungenügend erfasst ist. Lediglich etwa 1,9
Millionen Arten sind wissenschaftlich beschrie-
ben, geschätzt werden aber weit über 10 (und bis
zu 80) Millionen Arten. Noch weitgehend unbe-
kannt ist die Fülle an Arten generell in den Tro-
pen, aber auch im Boden, in der Tiefsee sowie
einzelner Organismengruppen wie der Bakterien
und Pilze weltweit. Für die Rote Liste der Inter-
nationalen Union für Naturschutz (www.IUCN-
redlist.org), die auf der Grundlage von mehr als
250
nationalen Listen aus mehr als 100 Ländern
die Beurteilung von Umfang und Entwicklung
der Bedrohung und des Verschwindens von Ar-
ten leisten soll, werden bisher nur knapp 48.000
Arten erfasst, mit einseitigem Schwerpunkt auf
den höheren Wirbeltieren. Davon sind allerdings
bereits mehr als 17.000 Arten bedroht. Gefordert
wird deshalb seit längerem eine koordinierte Er-
fassung der globalen Biodiversität – in den letzten
Wildnisgebieten der Erde, vor allem aber auch in
unseren Kulturlandschaften (siehe die Initiativen
Enzyclopedia of Life
Species 2000
Barometer of Life: S
tuart
et al.
2010;
Census of Marine Life
Die spektakuläre Vielfalt in Naturreservaten zu
erhalten ist wichtig, von Bedeutung für das Über-
leben der Menschheit ist aber auch, was in der