W
einhardt
: Hausschwamm in der Bibel?
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in J
esaja
40-55 erhalten sind, und H
esekiel
). In
diesen Kreisen wurde israelitische und judäische
Tradition gesammelt und erhalten.
Das babylonische Großreich wurde einige De-
zennien später durch das Perserreich abgelöst.
Die persische Religionspolitik unterschied sich
von der babylonischen erheblich. Die Perser-
könige förderten die regionalen Kulte der un-
terlegenen Völker und ermöglichten auch den
Judäern, in Jerusalem einen neuen Tempel zu
erbauen und in politischer Teilautonomie unter
persischer Oberhoheit zu leben. In diesem Zu-
sammenhang wurden im 5. Jahrhundert vor Chri-
stus die fünf Mosebücher in die Form gebracht,
wie sie heute in der Bibel nachzulesen sind. In
den Mosebüchern liegt also religiöse und histo-
rische Überlieferung Israels und Judas vor, die
bis ins 10. Jahrhundert vor Christus und indirekt
noch weiter zurück reicht. Es spiegeln sich in den
Mosebüchern aber auch die nationalen Erfah-
rungen Gesamtisraels wider, die bis in die Zeit
der Endredaktion des Textes hinaufreichen. Da-
her ist es im Einzelnen sehr schwer, manchmal
auch unmöglich, auszumachen, welche Texte in
den fünf Büchern eher alt sind, welche hingegen
eher in die neuere Zeit des Exils und des nach
exilischen Neuaufbruches gehören.
Für unsere Tora über den Häuser-Aussatz be-
deutet dies: Zum einen, wir sollten versuchen
zu bestimmen, in welchem Jahrhundert der Ge-
schichte Israels die Notwendigkeit entstand, sich
mit Veränderungen an Häuserwänden zu befas-
sen. Levitikus 14,34 weist schon selbst darauf
hin, dass zur Zeit der Sinaioffenbarung der Häu-
ser-Aussatz noch kein Problem war, weil sich das
Volk Israel damals noch in der Wüste befand, wo
es nicht in Häusern, sondern in Zelten wohnte.
Es stellt sich aber darüber hinaus auch die Fra-
ge, welche mikrobiellen Erscheinungen an Haus-
wänden es auf dem Territorium des Volkes Israel
überhaupt gegeben haben kann, die in Lev 14
hätten beschrieben werden können.
Um diese Frage zu klären, muss zunächst kurz
auf die Geografie Israels eingegangen werden.
Das jüdäische Zentralgebiet um Jerusalem be-
steht zum Teil aus Steinwüste, zum Teil gibt es
Niederschläge, die Landwirtschaft ermöglichen.
Hier wohnen die Menschen
„[...] in Steinhäusern, wobei überwiegend kalk-
haltige Steine vermauert sind. Sie liegen im
palästinischen Bergland zu Tage und werden
in unserem Text vorausgesetzt. Ziegel bleiben
unerwähnt. Die Wände sind von innen mit ei-
ner Lehmmasse verputzt: Das deutet auch auf
Naturstein als Baumaterial (Verschließen der
unregelmäßigen, sehr undichten Fugen). Steine
und Putz sind witterungsanfällig. Archäologische
Funde bestätigen die Vermutung. Mindestens seit
dem Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. wurden
in den gebirgigen Teilen Palästinas Wohnhäuser
aus Bruchsteinen mit Lehmverputz und Balken-
decke erstellt“ (G
erstenberger
1993: 177).
In seiner größten Ausdehnung umfasste Israel
– unter König D
avid
– aber auch Flusstäler (Jor-
dan), Seen und größere Oasen sowie Küsten.
Starke Feuchtigkeit gab es schließlich auch im
Zweistromland von Euphrat und Tigris, also in
Babylon, wo die judäische Priesterschaft mit den
Resten der Oberschicht im Exil lebte und ihre
Traditionen sammelte und bearbeitete. Da es im
Pentateuch zahlreiche Belege dafür gibt, dass
sich die exilierten Judäer mit der Kultur der sieg-
reichen Babylonier auseinandersetzten, wäre es
denkbar, dass auch babylonisches Priesterwis-
sen von Feuchtigkeitsphänomenen an Häusern
mit in Leviticus eingeflossen sind. Auch G
ersten
-
berger
(1993: 177) gibt zu bedenken, dass der
„Text aus demwasserreichen Zweistromland, d.h.
aus der jüdischen Diaspora stammen könnte.“
2
Tatsächlich beschreibt ein Text aus dem Zwei-
stromland ein Phänomen, das von Orientalisten
als Pilzbefall interpretiert wird:
„Wenn ein katarru an der äußeren Nordwand er-
scheint, dann muß der Hausbesitzer sterben und
sein Haus wird verstreut. Um das Übel abzuwen-
den, mache dir sechs Schaber aus Tamarisken-
holz und kratze damit den katarru ab. Du sollst
[den Staub] auffegen mit einem Dattelwedel von
der Nordseite (des Baumes); du sollst ihn in ei-
nen Rohrkorb tun. Mit einer Fackel sollst du [die
Wand] beräuchern, Schlamm und Gips darüber-
legen, und das Übel wird aufgelöst“ (G
erstenber
-
ger
1993: 173).
Anders als im Bibeltext ist hier das Auftreten des
Befalls ein Vorzeichen (Omen) für den Tod des
Hausbesitzers. Beachtet man das Omen, kann
das Unheil abgewendet werden. In Leviticus wird
der Besitzer des Hauses lediglich kultisch unrein,
wenn sein Haus Aussatz bekommt und dieser
sich nicht ausrotten lässt.
Weitere Hinweise auf den mesopotamischen Ur-
sprung des Phänomens von Aussatz an Häusern
gibt J
acob
M
ilgrom
:
2
Vgl. auch E
lliger
(1966: 191): „Ob Erfahrungen im Klima des
wasserreichen Babylonien die Veranlassung bilden?“ – näm-
lich den Häuseraussatz in recht später Zeit in die Aussatz-
Tora aufzunehmen.