Seite 11 - Carolinea 68

W
einhardt
:
D
arwin
und die Theologie
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ungefähr zwei Jahre nachdem sie ihn geheiratet
hatte, in einem Brief: „Hoffentlich prägt die Ge-
wohnheit, in der wissenschaftlichen Arbeit nichts
zu glauben, bevor es bewiesen ist, nicht Dein
ganzes Denken: Es gibt auch Dinge, die nicht in
derselben Art zu beweisen sind, deren Wahrheit
über unser Fassungsvermögen geht. Ich möchte
auch sagen, daß im Abweisen der Offenbarung
eine Gefahr liegt [...]: das ist die Sorge, undank-
bar zu sein, wenn Du leugnest, was zu Deinem
Besten und zum Besten der ganzen Welt getan
wurde und was Dich noch umsichtiger, vielleicht
sogar besorgt machen sollte, ob Du Dir auch wirk-
lich alle Mühe gegeben hast, um richtig urteilen
zu können [...] Alles, was Dich angeht, geht auch
mich an, und ich werde sehr unglücklich, wenn
wir einander nicht für alle Zeit angehörten“.
Hier kommt sie zum Vorschein, die von der Ehe-
frau geäußerte Furcht, ihr Mann würde in der
Ewigkeit aufgrund seines Unglaubens von ihr
getrennt werden! D
arwin
antwortete seiner Frau,
ebenfalls schriftlich (aber so, dass sie die Ant-
wort erst nach seinem Tod finden würde): „Wenn
ich tot bin, sollst du wissen, dass ich den Brief
viele Male geküsst und Tränen über ihn vergos-
sen habe“ (D
arwin
, 2008
a, S. 273f.).
Welches Gefühl brachte ihn wohl zu Tränen? War
es die Rührung über die Fürsorge seiner Frau,
war es Trauer darüber, dass er ihr Anlass für
Kummer war? Aus späterer Zeit (um 1861) ist ein
weiterer Brief E
mma
s an C
harles
überliefert. Sie
schrieb ihm: „Ich bin mir gewiß, daß Du weißt,
daß ich Dich genug liebe, um Dein Leiden fast
so zu empfinden, als sei es mein eigenes, und
mein einziger Trost ist der Glaube, daß alles von
Gott geschickt ist; und ich versuche zu glauben,
daß alles Leiden und alle Krankheit uns aufer-
legt sind, damit wir unseren Geist erheben und
voll Hoffnung auf ein zukünftiges Leben blicken
können [...] Gefühl, nicht Denken drängt uns zum
Gebet“.
An dieser Stelle zeigt sich ein sehr problema-
tischer Zug traditioneller christlicher Frömmigkeit:
Die chronische Krankheit ihres Mannes deutet
E
mma
D
arwin
als eine von Gott verhängte päda-
gogische Maßnahme. Das Leid in dieser Welt soll
ihn empfänglich machen für die Hoffnung auf ein
besseres Leben im Jenseits. Charakteristisch für
ihre religiöse Haltung, die wohl der europäischen
Erweckungsbewegung zuzuordnen ist, ist auch
die Aussage, dass das Gefühl der Weg zu Gott
sei und nicht das Denken. C
harles
D
arwin
argu-
mentiert nicht mit Gefühlen, er wägt in religiösen
Zusammenhängen Vernunftgründe gegeneinan-
der ab. So blieb ihm gar nichts anderes übrig, als
diesen Brief inhaltlich unbeantwortet zu lassen.
Er setzte auf den Rand die Worte: „Gott seg-
ne dich. C
harles
D
arwin
, 1868 (
D
arwin
, 2008
a,
S. 275f.). Das eine religiöse Segensformel!
In seiner Autobiografie geht C
harles
D
arwin
auf
solche Gedanken seiner Frau ein: „Ich kann nun
wirklich nicht einsehen, warum sich jemand wün-
schen sollte, das Christentum sei wahr; wenn es
nämlich wahr wäre, dann, das scheint mir die
Sprache des Textes unmißverständlich zu sa-
gen, würden alle Menschen, die nicht glauben,
also mein Vater, mein Bruder und fast alle mei-
ner nächsten Freunde, ewig dafür büßen müs-
sen. Und das ist eine verdammenswerte Doktrin“
(
D
arwin
, 2008
a, S. 96).
D
arwin
teilte also die Überzeugung seiner Frau,
dass nach der christlichen Lehre ungläubige
Menschen ewig verdammt seien. Zu diesem Ab-
schnitt der Autobiografie ihres Mannes setzte
E
mma
D
arwin
nach seinem Tod, im Verlauf des
Editionsprozesses, diesen Kommentar: „Ich
möchte die eingeklammerte Passage nicht ver-
öffentlicht sehen. Sie scheint mir roh zu sein.
Über die Lehre, dass der Unglauben bis in alle
Ewigkeit bestraft wird, kann man gar nicht streng
genug sprechen – aber nur wenige würden diese
Lehre jetzt ‚Christentum‘ nennen (auch wenn die
Worte da stehen). Hier geht es auch um die Frage
der verbalen Inspiration“ (D
arwin
, 2008
a, S. 164).
Dieser Kommentar deutet darauf hin, dass E
mma
D
arwin
eine Wandlung ihrer theologischen Vor-
stellungen durchgemacht hat. Sie hält jetzt die
Aussage für tadelnswert, dass „Unglauben bis
in alle Ewigkeit bestraft“ werde. Damit zeigt sie
sich jetzt als eine Vertreterin der Allerlösungs-
lehre, die zwar damit rechnet, dass Menschen
im Jüngsten Gericht bestraft werden. Aber diese
Strafen haben rein pädagogische Ziele, sollen
zur Selbsterkenntnis und Reue der Schuldigen
führen, und sie enden nach mehr oder weni-
ger langer Zeit. Die Allerlösungslehre wurde im
englischen radikalen Pietismus um 1700 ent-
deckt (W
einhardt
, 2008).
Offensichtlich haben
C
harles
und E
mma
D
arwin
über dieses Thema
miteinander diskutiert. Denn C
harles
D
arwin
hatte in dem von seiner Frau gerügten Abschnitt
der Autobiografie betont, es sage „die Sprache
des Textes unmißverständlich“, dass die Höllen-
strafe ewig dauere – er wehrt also relativierende
Interpretationen der entsprechenden Bibelverse
ab und will sie buchstäblich verstanden wissen.
E
mma
D
arwin
bezieht sich auf diesen postumen
Einwand ihres Mannes mit dem Vermerk: „[...]