Seite 12 - Carolinea 68

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carolinea, 68
(2010)
auch wenn die Worte da stehen – hier geht es
auch um die Frage der verbalen Inspiration“. Mit
dieser Bemerkung ist die fachwissenschaftliche
Diskussion darüber angedeutet, wie denn nun
eigentlich die christliche Offenbarung zu denken
sei. Ist der Bibeltext buchstäblich von Gott dik-
tiert (also verbal inspiriert)? Dann muss man als
Christ an die Ewigkeit der Hölle glauben, denn
die entsprechenden Texte stehen nun einmal da.
E
mma
D
arwin
hat sich aber von dieser Theorie
gelöst und versteht ihre Bibel jetzt als interpre-
tationsfähige, abgeleitete Dokumentation der
Offenbarung Gottes, die im Leben und Geschick
Jesu von Nazaret, also in einer Kette von histo-
rischen Ereignissen, besteht (vgl. o. das Ende
von 2.2). Das Gottesbild, das Jesus vermittelte,
verträgt sich nicht mit der Vorstellung einer ewi-
gen Rache und Folterstrafe.
D
arwin
s chronische Krankheit gab, wie wir ge-
sehen haben, Anlass zu theologischen Diskus-
sionen im Hause D
arwin
.
Über diese Krankheit
haben D
arwin
-
Biografen und Mediziner heftig
spekuliert. Auch in der Krankheitsgeschichte des
großen Biologen könnte es einen religiösen Hin-
tergrund geben.
3.3
D
arwin
s Krankheit – ödipale oder
ekklesiogene Neurose?
Nach der Rückkehr von seiner Forschungsrei-
se befiel D
arwin
eine rätselhafte, hartnäckige
Krankheit. Monatelang lag er im Bett und konnte
kaum etwas arbeiten. Kein Arzt konnte eine orga-
nische Diagnose stellen oder ihn gar heilen. Es
ist bald vermutet worden, dass D
arwin
s Krank-
heit seelische Ursachen gehabt habe. So urteilt
der Mediziner D
ouglas
H
ubble
im Jahr 1946:
C
harles
D
arwin
s Krankheit entstand also aus
der Unterdrückung und Nicht-Erkennung eines
peinigenden Gefühls. Ein solches Gefühl setzt
sich immer aus Angst, Schuld oder Haß zusam-
men ... bei C
harles
D
arwin
entstand es aus sei-
ner Beziehung zu seinem Vater“.
Dass D
arwin
s Vater sehr streng war, können
wir seiner Autobiografie entnehmen. So war es
den durch die Psychoanalyse geprägten Ärzten
des frühen 20. Jahrhunderts plausibel, dass die
spannungsvolle Beziehung zwischen Vater und
Sohn der Auslöser für D
arwin
s Krankheit war.
Auch R
ankine
G
ood
schloss sich 1954 der Dia-
gnose auf ödipale Neurose an: D
arwin
s Krank-
heitssymptome seien ein „verzerrter Ausdruck
der Aggression, des Hasses, Zornes, die D
ar
­
win
unbewußt gegen seinen tyrannischen Vater
empfand“ (D
arwin
, 2008
a, S. 278f.).
Der erste der oben zitierten Briefe E
mma
D
arwin
s
an ihren Mann eröffnet aber den Blick auf eine
andere Quelle von Angst im Leben ihres Mannes:
Ich meine, daß E
rasmus
[
der ältere Bruder von
C
harles
D
arwin
],
von dessen Verstand Du eine
so hohe Meinung hast und den Du so liebst, Dir
als Beispiel voran gegangen ist – ist es nicht
wahrscheinlich, daß er es leichter für Dich ge-
macht hat und Dir einen Teil der schrecklichen
Angst genommen hat, die das Zweifeln zunächst
begleitet und die meiner Meinung nach keine
unvernünftige oder abergläubige Regung ist?“
(
D
arwin
, 2008
a, S. 273).
Auch das Thema „religiöse Angst“ ist also zwi-
schen den Eheleuten diskutiert worden. C
harles
D
arwin
macht eine Aussage zur Sache in der
Autobiografie: Es könnte sein, dass den Glauben
an Gott abzuschütteln so schwer sei „wie für ei-
nen Affen, seine instinktive Angst vor Schlangen
und seinen Haß auf sie abzuschütteln“ (D
arwin
2008
a, S. 103). Damit setzt er den Gottesglauben
in direkte Parallele zur Angst vor wilden Tieren.
Hier stoßen wir auf einen von C
harles
D
arwin
selbst formulierten Zusammenhang zwischen
(
Un)glauben und Angst. In diesen Zusammen-
hang gehört auch der berühmte Brief an J
oseph
H
ooker
,
in dem D
arwin
(1841)
schrieb, die Ver-
öffentlichung der Evolutionstheorie sei so, als
ob man einen Mord gestehe (H
ösle
/
I
llies
, 1999,
S. 27). Das Mordopfer könnte nach dem Zusam-
menhang die Theorie von der Konstanz der Ar-
ten sein – oder der Schöpfergott selbst. Auf je-
den Fall freut er sich des (Gottes)mordes nicht
in triumphalistischer Weise, sondern zeigt sich
durch ihn belastet („ein fürchterliches Geheim-
nis“). Der später entwickelte Agnostizismus D
ar
­
win
s könnte auch die Funktion einer psychischen
Selbstentlastung gehabt haben.
4
Die Theologie nach
D
arwin
Die Reaktionen auf die Entstehung der Arten und
später auf die Abstammung des Menschen wa-
ren im kirchlichen Lager sehr unterschiedlich. Es
gab einerseits schroffe Ablehnung, wie sie etwa
im Spott von Bischof S
amuel
W
ilberforce
zum
Ausdruck kam. Er soll T
homas
H
uxley
,
den Freund
und Kampfgenossen D
arwin
s, gefragt haben, ob
er denn lieber großväterlicherseits oder großmüt-
terlicherseits von einem Affen abstammen wolle
(
A
ltner
, 2003,
S. 62). Die meisten Theologen
akzeptierten aber die Evolutionslehre und hatten
höchstens Bedenken gegen die große Rolle des