Seite 13 - Carolinea 68

W
einhardt
:
D
arwin
und die Theologie
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Zufalls in ihr. Ganz selbstverständlich ist D
arwin
in Westminster Abbey beigesetzt worden, einer
der wichtigsten Kirchen der Church of England.
Heute ist die Evolutionstheorie in der wissen-
schaftlichen christlichen Theologe vollständig
akzeptiert, sieht man von US-amerikanischen
Ausbildungsstätten fundamentalistischer Grup-
pen ab. Allerdings hat dieser amerikanische
Fundamentalismus einen gewissen Einfluss
auf konservative Laienkreise in Europa, auch in
Deutschland. Die Aufgabe der innerkirchlichen
Aufklärung bleibt also auf der Tagesordnung.
Die Evolutionstheorie ist aber in der heutigen
Theologie nicht nur einigermaßen geduldet.
Vielmehr hat sie dazu beigetragen, den christ-
lichen Glauben auf eine ganz neue Weise zu
systematisieren. Die traditionelle christliche
Weltgeschichtsdeutung, wie sie bis in das 18.,
19.
Jahrhundert hinein gefasst war, begann mit
der Erschaffung einer vollkommenen Welt durch
Gott. Durch den Sündenfall, den Biss Adams und
Evas in die verbotene Frucht, wurde die Welt
schlechter: Der Tod kam in die Welt, das vorher
mühelose Menschenleben wird schmerz- und
dornenvoll. Dann beginnt eine Aufwärtsbewe-
gung mit der Erwählung Abrahams, mit der Be-
rufung des Volkes Israels, mit dem vorläufigen
Gipfelpunkt der Sendung Jesu. Für die Zukunft
erwarten die Christen das Reich Gottes, die Voll-
endung der Schöpfung.
Diese traditionelle Auffassung der Weltgeschich-
te entspringt schon ihrerseits einer falschen Deu-
tung der Urmythen des Buches Genesis. Dazu
belastet sie das Gottesbild in einer Weise, an
der sich ähnlich schon C
harles
D
arwin
aufge-
rieben hatte: Warum bestraft Gott die gesamte
Schöpfung – die Tiere, die Pflanzen – und die un-
schuldigen Nachkommen Adams und Evas mit
dem Tod? Ist das nicht ungerecht, tyrannisch?
D
arwin
s Evolutionstheorie hat es den Theolo-
gen erleichtert, die Bibeltexte wieder unverstellt
zu lesen: Die Welt war noch niemals perfekt, der
Tod gehörte von Anfang an zur Schöpfung hin-
zu. Die Sündenfallgeschichte in Genesis 3 be-
schreibt kein historisches Ereignis vor 6000 und
ein paar Jahren, sondern erzählt die Geschichte
eines jeden Menschen, der sich im Lauf seiner
Biografie der ethischen Frage nach richtig und
falsch stellen muss und der früher oder später
schuldig wird. Gott hat eine Welt erschaffen, die
ein großes Selbstentfaltungspotential besitzt.
Als Menschen sind wir selbst daran beteiligt zu
bestimmen, was aus uns und unserem Planeten
wird. Die Frage nach unserer individuellen und
nach der globalen Zukunft bleibt unter wissen-
schaftlichen Gesichtspunkten unbeantwortbar.
Wir können uns der Verantwortung dafür stellen
oder nicht; und wenn wir uns ihr stellen, gibt es
keine Garantie für einen guten Ausgang. Das ist
die Perspektive, wenn man nur beweisbare Vo-
raussetzungen akzeptiert. Der christliche Glaube
lebt außerdem aus dem Vertrauen darauf, dass
Gott den Weltprozess begonnen hat, dass er
ihn begleitet und ihn zu einem erfreulichen Ziel
führen wird. C
harles
D
arwin
hatte Recht damit,
dass es ein neuzeitliches Christentum auf evo-
lutionärer Grundlage geben kann. E
mma
D
arwin
wiederum ist darin zuzustimmen, dass es letzt-
lich nicht Vernunftgründe sind, die über Glauben
oder Unglauben entscheiden. Vielmehr bestim-
men persönliche Gründe die religiöse Haltung
eines Individuums. Der dem christlichen Glauben
ammeisten entsprechende Grund ist – gegen die
jüngere E
mma
D
arwin
nicht die Angst vor Gott,
sondern die Freude an einer lebensfreundlichen
Welt und über die von Gott durch die Auferwe-
ckung Jesu von Nazaret begründete Hoffnung
auf ihre Vollendung.
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