Carolinea 76

144 Carolinea 76 (2018) nicht, Populationsschwankungen in anderen Le- bensräumen werden sehr selten dokumentiert und wenn, dann nie über einen so langen Zeit- raum. Als weitere Ursache des Rückganges muss an Parasiten oder Fressfeinde gedacht werden. Als Räuber könnten z.B. Ameisen eine große Rolle spielen, sie nahmen im Laufe der Böschungsent- wicklung stark zu. Über die Parasiten bei Psyche casta , die „damit reich gesegnet ist“ ( H ofmann 1856), berichtet S iebold (1856), der 12 Ichneu- moniden-Arten aufzählt. In Zuchten wurde bei Psychiden ein starker Parasitierungsdruck durch Pteromalidae, Braconidae und Ichneumonidae belegt, alles Gruppen, deren Vertreter in unseren Fallenfängen in hoher Zahl auftraten. Betrachtet man die gesamten 33 Untersuchungs- jahre, so stellt sich als erstes die Frage, ob die Psychiden heute nicht schon endgültig von der Böschung verschwunden sind. Seit 1997 gehen die Fangzahlen aller Arten mehr oder weniger stark zurück – bei manchen Arten häufen sich auch die Jahre mit Null-Fängen – dies, obwohl die typischen xerophilen Arten des Kaiserstuhls auf der Böschung dominierten. Das Verschwinden der euryöken Art Psyche ca­ sta und der aus unterschiedlichsten Offenland- biotopen gemeldeten Canephora hirsuta könnte man, dem Zeittrend folgend, mit zunehmender Erwärmung erklären. Betrachtet man die mitt- lere Jahrestemperatur im Untersuchungsgebiet über den gesamten Untersuchungszeitraum, so kann man durchaus einen leichten Anstieg beobachten. In der ersten Dekade der Untersu- chung (1979 bis 1989) betrug sie noch 10,3 °C, stieg in den Jahren 1989 bis 1999 bereits auf 11,0 °C und nach der Jahrtausendwende (1999 bis 2012) auf 11,4 °C an. Innerhalb der Unter- suchungszeit haben wir demnach einen Anstieg von etwas mehr als 1 °C. Genauso gut könnten beide Arten aber auch weiterhin auf der Bö- schung vorkommen, da Psyche casta ein aus- gesprochen breites Toleranzspektrum besitzt und Canephora hirsuta vor allem in der Vegeta- tion von Wärmegebieten mit durchschnittlichen Jahrestemperaturen von 8-10 o C gefunden wur- de. Die beiden Arten sollten eine Zunahme der Vegetationsdeckung während der Sukzession und einen Temperaturanstieg am ehesten ertra- gen. Auch Nahrungsmangel im Laufe der Zeit scheidet aus. Nach Literaturangaben ernähren sich alle nachgewiesenen Psychidenraupen recht unspezifisch meist von Algen und Moosen. Werden höhere Pflanzen genannt, so sind dies Arten, die auf der Böschung in großer Menge wachsen. Das Verschwinden der beiden Arten muss dementsprechend andere Gründe haben. Besondere Beachtung verdient die xerophile Rote-Liste-Art Ptilocephala plumifera , die in Ba- den-Württemberg ausschließlich im Kaiserstuhl vorkommt. Die Xerobrometen der Rheinhalde bei Burkheim und am Badberg, beides Naturschutz- gebiete, stellen den „ursprünglichen Lebens- raum von Ptilocephala dar“ ( H errmann 1994). Außerdem werden von H errmann drei Lösster- rassen genannt. Sicherlich sind die Böschungen gemeint, denn auf den von uns untersuchten Rebflächen, die naturgemäß stärker beschattet und feuchter sind als die steilen, südexponierten Großböschungen, wurden keine Psychidenrau- pen gefunden. Ptilocephala wurde auf unserer Böschung mit Abstand am häufigsten gefangen. Sie steht für den faunistisch hohen Wert dieser künstlich ge- schaffenen, sehr großen Südböschungen, die anthropogen nicht genutzt werden. Zahlreiche Rote-Liste-Arten aus anderen Tiergruppen zei- gen ebenfalls, dass diese Südböschungen, die Brachland im intensiv genutzten Rebgelände dar- stellen, in ihrer Faunenvielfalt dem benachbarten Naturschutzgebiet Badberg entsprechen und so- mit ein Modell für die „Integration im Naturschutz“ sind ( K obel -L amparski & L amparski 1997 ). Was weiß man jetzt, aufgrund dieser Langzeit- untersuchung, über diese Tiergruppe bzw. die aufgefundenen Arten mehr? Das meiste Wissen über die Psychiden wurde durch den Fang von Männchen, das Sammeln von Säcken im Gelände, die Weiterzüchtung der Raupen im Labor bis zu den Adultstadien und das Anlocken von Männchen mit pheromon­ abgebenden Weibchen im Freiland gewonnen. Trotz der großen Erkenntnisse, welche die Frei- land/Labor-Methoden erbrachten, besitzen diese einen Nachteil: Das Auffinden einer Art wird viel stärker bewertet als das „Nichtfinden“, d.h. Popu- lationsschwankungen im Laufe der Zeit werden in der Beobachtung untergewichtet, so dass man bei einem Nichtauffinden schnell von einem Ver- schwinden spricht (obwohl es sich vielleicht nur um einen Einbruch handelt), oder, wenn sie ge- rade ein vorübergehendes Populationsmaximum an einem (frisch besiedelten) Standort durch- läuft, dieses übergewichtet. Quintessenz Von großer Wichtigkeit für die Besiedlung von Neuland ist eine unmittelbare Impfzelle.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1Mjc=