Carolinea 76
Carolinea 76 (2018): 21-34, 6 Abb.; Karlsruhe, 14.12.2018 21 Nur eine Weidbuche? – Weidbuchen als Biodiversitätsgaranten im Schwarzwald V olkmar W irth Kurzfassung An einer alten Weidbuche nahe Freiburg/Br. im Süd- schwarzwald, deren abgebrochener Teilstamm eine nähere Untersuchung auch eines Teils der Baumkrone erlaubte, wurden 127 epiphytisch wachsende Orga- nismen botanischer und mykologischer Zugehörigkeit festgestellt, darunter 91 Flechtenarten, sechs flech- tenbewohnende Pilze und 16 Moosarten. Die Zahl der Flechten ist die höchste bisher in Europa an einem Baum festgestellte. Sie belegt die Bedeutung der Weid- buchen als Diversitätsträger, umso mehr als etliche der registrierten Arten gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind. Dieser Befund bekräftigt den Stellenwert, den die Weidbuchen schon als kulturhistorisch be- deutende und landschaftsprägende Elemente haben sollten, auch aus naturwissenschaftlicher Sicht. Abstract Only a pasture beech? Freestanding beech trees as biodiversity sources in the Black Forest On an old beech tree on an extensive pasture in south- ern Black Forest a broken part of the crown allowed the investigation of epiphytes also on branches and little twigs of usually inaccessible parts of the tree. 127 epiphytic organisms were found, among them 91 lichen species, six lichenicolous fungi and 16 species of mosses and hepatics. The number of lichen species is remarkable and the highest which was registered on a tree in Europe. The high number proves the impor- tance of the old beech trees (so called Weidbuchen) on extensive pastures of the southern Black Forest as habitats of high diversity with many endangered spe- cies, an additional argument for the protection of these trees which they should merit as historico-cultural wit- nesses anyway. Autor Prof. Dr. V olkmar W irth , Friedrich-Ebert-Straße 68, D-71711 Murr; E-Mail: volkmar.wirth@online.de 1 Einleitung Weidbuchen, mitunter auch als Wetter- oder Windbuchen bezeichnet, nennt man stattliche Rotbuchen ( Fagus sylvatica ) auf extensiv ge- nutzten Viehweiden, wie sie insbesondere im Südschwarzwald im oberen Wiesental und im Schauinslandgebiet bei Freiburg im Breisgau ver- breitet sind. Die Weidbuchen sind ein prägendes Landschaftselement dieser „Weidfelder“ und zu- gleich kulturhistorische Dokumente, die von der traditionellen Landwirtschaft der Gemeinden in mittleren Höhenlagen des Südschwarzwaldes zeugen. Ihre Existenz ist eng mit der Weidewirt- schaft auf den Magerrasen im Allmendgebiet der Ortschaften verknüpft, also in jenem Gebiet, das sich im gemeinschaftlichen Besitz der Bür- ger der Gemeinden befindet – eine Agrarstruk- tur, die schwarzwaldtypisch ist ( E ggers 1957, 1964, M üller 1989 ). Dieser Bereich war oder ist noch häufig durch Lesesteinmäuerchen vom intensiv bewirtschafteten Grünland abgegrenzt. Teilweise liegen die Gemeinschaftsweiden auch weiter entfernt auf den Höhen der umliegenden Berge und sind durch Auftriebsgassen mit den Orten verbunden. Bei den Magerrasen handelt es sich meist um äußerst artenreiche, blumen- und insektenreiche Flügelginsterheiden, Zwerg strauchheiden mit Heidekraut oder – in den Hochlagen über 1.000 m – auch um Borstgras- rasen, die nicht gemäht werden ( B artsch 1943, P hilippi 1989). Sie sind häufig von Felsblöcken durchsetzt, was die Artenvielfalt durch Nischen- bildungen am Rand der Felsen und durch den Flechten- und Moosbewuchs auf den Blöcken selbst noch deutlich erhöht ( W irth 2002). Bei den oft in Gruppen zusammen stehenden Weidbuchen handelt es sich vielfach um alte Baumriesen mit mächtigen, ausladenden Kronen, die in windreichen Lagen Fahnenwuchs zeigen können, d.h. eine Krone haben, die asymmetrisch nach Lee ausgerichtet ist. So oft die Weidbuchen als Fotomotiv dienten und als Kalenderberei- cherung herhielten, so wenig ist über sie explizit publiziert worden. Sehr eingehend und als einer der ersten hat K lein (1900, 1908) die Weidbuchen thematisiert und sie fotografisch dokumentiert. Danach machten F eucht (1939) und H ockenjos (1982) auf sie aufmerksam, schließlich fassten S chwabe & K ratochwil (1987) alles Wissenswerte und Bekannte über Weidbuchen in einer ausfüh- rlichen Darstellung zusammen. Die Weidbuchen entstehen durch Verbiss durch das „Wäldervieh“. Nach S chwabe & K ratochwil (1987) sind die Weidbuchen, auch wenn durch Verwachsung äußerlich nicht zweifelsfrei sicht-
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