Carolinea 77

34 Carolinea 77 (2019) Dass die Kurve aus den Jahren 1979-1982 ra- scher dem Plateau entgegenstrebt, wird als Hin- weis gewertet, dass eine ganze Reihe von Arten in der Vergangenheit häufiger waren (s.u.), die Wahrscheinlichkeit, diese Arten zu finden, also höher lag. Die Differenz des Plateau-Wertes zwischen bei- den Aufsammlungsperioden beträgt 78 (Jahre 1979-1982) minus 70 (Jahre 2015-2017), also 8 Arten. Das entspricht bei der insgesamt festge- stellten Artenzahl von 86 annähernd 10 %, was wiederum bedeutet, dass vorliegende Untersu- chungen in den Rheinauen einen Artenschwund von etwa 10 % ergeben haben. Die Rheinauen der Oberrheinebene sind trotz aller bisherigen Eingriffe insgesamt ein weitgehend natürliches bzw. naturnahes Ökosystem. Dass auch hier der überall in Mitteleuropa festzustellende Ar- tenschwund nachgewiesen werden kann, ist ein alarmierendes Zeichen. In anderen Lebensräumen und weltweit ist der Artenschwund oft noch wesentlich gravierender. R eichholf (2017) berichtet über einen Verlust von über 50 % der nachtaktiven Schmetterlingsarten in den Feldfluren seit den 1970er-Jahren und eine Abnahme der Häufigkeit von über 80 %. Die durchschnittliche Menge von in Lichtfallen gefan- genen Insekten (ohne Schmetterlinge) am Orts- rand sank seit den Jahren 1969-1974 imVergleich zu heute sogar um 95 %! Allerdings berichtet auch R eichholf bei den Schmetterlingen davon, dass im Auwald das Verschwinden von Arten bei weitem nicht so stark ist wie in der Flur. Aus den Sammelergebnissen lässt sich noch mehr ablesen als nur pauschale Aussagen über das Arteninventar einst und jetzt. Um aber Ver- breitungstrends bestimmter Arten bewerten zu können, müssen diese Arten genügend oft ge- funden worden sein. Deshalb wurden für Tabelle 4 all jene Arten ausgewählt, die in beiden Sam- melperioden insgesamt häufiger als sechsmal gefunden wurden. Das trifft für 47 Arten zu. In den ersten beiden Spalten von Tabelle 4 werden die Funde in den Jahren 1979-1982 denen von 2015-2017 gegenüber gestellt. Da die Zahl der Aufsammlungen einen hohen Einfluss auf die Zahl der Funde hat, wird in den beiden rechten Spalten die „Zahl der Funde pro Aufsammlung“ für beide Zeiträume miteinender verglichen. Zu- dem sind alle Arten farbig hinterlegt, bei denen dieses zweite Verhältnis um den Faktor 3 oder mehr differiert. Nur diese Arten sollen in der Fol- ge betrachtet werden, da geringere Unterschie- de keine belastbare Aussage zulassen. Bei denjenigen Arten, die in der Gegenwart um den Faktor 3 oder mehr abgenommen haben, beträgt dieses Verhältnis: 1979- 1982 2015- 2017 Annahme in % Hygrotus inaequalis 0,46 zu 0,10 78 Colymbetes fuscus 0,12 zu 0,014* 88 Spercheus emar­ ginatus 0,12 zu 0,014* 88 Laccobius mi­ nutus 0,22 zu 0,04 82 Enochrus testaceus 0,14 zu 0,04 71 Berosus frontifoveatus 0,10 zu 0,03 70 Cymatia coleoptrata 0,30 zu 0,014* 95 Hesperocorixa linnaei 0,12 zu 0,04 67 Sigara falleni 0,30 zu 0,10 67 Gerris odontogaster 0,16 zu 0,03 81 * Hier wurde wegen der kleinen Zahlen eine Dezimale mehr benutzt. Bei allen Arten wird der Bestandsrückgang als signifikant angesehen. Hygrotus inaequalis , Colymbetes fuscus , Spercheus emarginatus , Cymatia coleoptrata und Gerris odontogaster wurden in der Vergangenheit sogar zu den 29 „besonders häufigen Arten in den Stillgewässern der Rheinauen“ gezählt ( K ögel 1984a). Der Versuch, den Rückgang der Arten über ihre Biotoppräferenzen und mögliche Veränderungen der untersuchten Auenbereiche zu erklären, führt zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Lacco­ bius minutus („acidophil“), Cymatia coleoptrata („Moorgewässer“) und Gerris odontogaster („sau- re Stillgewässer“) wird eine gewisse Vorliebe für das saure Milieu zugesprochen ( K lausnitzer 1996 und S trauss & N iedringhaus 2014). Zwar wurden in der Gegenwart keine Bestimmungen des pH- Wertes vorgenommen, aber durch die festge- stellte stärkere Eutrophierung mit Faulschlamm- bildung ist anzunehmen, dass dieser gestiegen ist. Es könnte also durchaus sein, dass einige acidophile Arten die Auengewässer aus diesem Grund nicht mehr so attraktiv finden.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1Mjc=