Carolinea 77
46 Carolinea 77 (2019) Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammen- hang, dass neben den reinen Giftstoffen nun auch vermehrt Trägerstoffe oder Düngemittel in den Fokus des Interesses geraten. Denn jeder Stoff, der in die Umwelt gelangt und mit den Organis- men interagiert, kann Auswirkungen haben. Im Falle des Ausbringens von Bti würde das heißen, nicht nur nach der Wirkung des Agens zu fragen, sondern auch die Hilfsstoffe zu untersuchen. 7.3 Veränderungen von Lebensräumen, z.B. durch Sukzession Nicht nur der Eintrag von Stoffen beeinträchtigt Biozönosen, wichtiger dürften in vielen Fällen die stattfindenden Veränderungen sein, sowohl von innen heraus durch Sukzession als auch durch äußere mechanische Eingriffe, bis hin zur voll- ständigen Zerstörung („Urbarmachung“). In den Rheinauen spielt letzteres Dank des Naturschut- zes zum Glück nur noch eine untergeordnete Rolle, vor allem in den Schutzgebieten. Aber es darf als wahrscheinlich angesehen werden, dass die natürliche Sukzession mitverantwortlich an den festgestellten Veränderungen in den unter- suchten Auengewässern ist. Hinweise werden in der starken Eutrophierung z.B. durch Eintrag von Düngemitteln mit intensiver Faulschlammbil- dung gesehen. Das ist als solches ganz und gar untypisch für die Auengewässer. Denn durch die Hochwässer sollten die Schluten immer wieder ausgeräumt werden, was letztlich einer „Verjün- gungskur“ gleich käme. Ês fiel in allen untersuchten Gebieten der hohe Totholzanteil auf, der manche Schluten nahezu füllte (Abb. 30). Das wird sicher seitens des Na- turschutzes gefördert, denn gerade das Totholz bietet vielen Organismen Lebensraum, der in un- seren bewirtschafteten Wäldern verloren gegan- gen ist. In den Rheinauen aber bricht das Totholz auch die Strömung bei Hochwasser, nimmt ihr die Wucht und verhindert so womöglich das Aus- räumen und Verjüngen der Schluten. Die Folge wäre dann die Eutrophierung mit dem Endstadi- um der Verlandung. Eine ganz ähnliche Wirkung könnte eine zunehmende Verbuschung haben, die wiederum gefördert würde, wenn Hochwas- serereignisse seltener auftreten. Das wären die aus menschlicher Sicht negativen Effekte der Sukzession. Auf der anderen Seite kann die Sukzession auch eine Zunahme der Artenvielfalt bewirken. So wird es als bezeichnend angesehen, dass in der Ket- scher Wasserbausenke die Artenzahl von 32 in der Vergangenheit auf 59 in der Gegenwart ge- stiegen ist. Das ist zum Teil methodisch bedingt (in 1979-1982 sieben Aufsammlungen, 2015- 2017 33). Starken Einfluss dürfte aber auch ha- ben, dass die Senke erst 1978 angelegt worden ist und als „junges“ Gewässer noch artenarm war. Inzwischen ist die Schlute in einem fortge- schrittenen Stadium der Sukzession und viel artenreicher. Auch D annapfel (1977) berichtet, dass die Besiedlung eines Gewässers sehr stark von seinem Alter abhängt. Die Ausführungen zeigen, wie komplex das Ge- schehen in den Auengewässern ist. Fortschrei- tende Sukzession kann – wie in der Ketscher Wasserbausenke – zur Erhöhung der Artenzahl führen, durch zunehmende Eutrophierung aber auch zum Verschwinden von Arten beitragen. So wie die autökologische Bewertung der Arten in den vergangenen Kapiteln keine klaren Antwor- ten über die Ursachen von Bestandsänderungen erbracht hat, kann auch das Betrachten der Le- bensräume keine allgemein gültigen Erklärungen geben. Zumal ein weiterer Faktor ganz erheblich auf Biozönosen einwirken kann. 7.4 Destabilisierung von Biozönosen durch Neozoen Tiere und Pflanzen sind auf Wanderschaft. Zu ih- ren Lebensprinzipien gehört es, sich auszubrei- ten. Der Mensch ist ihnen dabei behilflich. Davon zeugt die Vielzahl an Archäophyten, Neozoen und Neophyten. Durch die zunehmende Globali- sierung und den damit einhergehenden (Waren-) Verkehr wird dieser Effekt immer stärker. Neubürger breiten sich oft aggressiv aus und drängen alteingesessene Arten zurück, bis hin zur Ausrottung. Damit einher gehen manchmal gravierende Veränderungen in ganzen Ökosys- temen. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die meisten zugewanderten Arten sich mehr oder weniger unauffällig eingliedern und letztlich die heimische Natur bereichern. In den Rheinauen sorgten in den letzten Jah- ren beispielsweise die folgenden Neozoen für Schlagzeilen wegen ihres überaus erfolgreichen Ausbreitens: Körbchenmuschel ( Corbicula flu minea und C. fluminalis ), Schwarzmundgrundel ( Neogobius melanostomus ), Höckerflohkrebs ( Dikerogammarus villosus ), Kalikokrebs ( Faxo nius immunis ). Die drei zuerst genannten Arten sind typisch für Fließgewässer, also das Regime des Rheins und seiner Altarme und Nebenflüsse. Der im Englischen als „Killer Shrimp“ bezeichne- te Höckerflohkrebs ist seit 1995 im Rhein nach- gewiesen. Wegen seiner großen Aggressivität
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