Käfer-Evolution erklärt die geologische Geschichte des artenreichsten tropischen Archipels
Fachübergreifende neue Erkenntnisse bringt eine Studie zu Rüsselkäfern, an der auch Dr. Alexander Riedel, Entomologe am Naturkundemuseum Karlsruhe beteiligt war. Anhand der Evolution der dortigen Rüsselkäfer lassen sich Rückschlüsse auf die geologische Entwicklung Indonesiens und des Westpazifiks ziehen.
Die Inseln Indonesiens und des Westpazifiks beherbergen bekanntermaßen eine sehr reiche Biodiversität, darunter eine Unzahl von flugunfähigen Rüsselkäfern der Gattung Trigonopterus. DNA-Sequenzen von 1.006 Trigonopterus-Arten zeigten nach statistischen Analysen, dass die Evolution der Käfer in den letzten 40 Millionen Jahren mit der Entstehung terrestrischer Lebensräume in der Region korreliert. Dadurch werden neue Erkenntnisse über die komplexe geologische Geschichte Indonesiens und des Westpazifiks sowie über die Ursprünge und die Evolution ihrer außergewöhnlichen und bedrohten Biodiversität gewonnen. Die Studie wurde frei zugänglich in der Zeitschrift Ecography veröffentlicht.
Die tropische Inselwelt, die sich von Malaysia über Indonesien, die Philippinen, Papua New Guinea und weitere Länder des Westpazifiks erstreckt, ist bekannt für ihre außergewöhnliche Biodiversität und komplexe geologische Entstehungsgeschichte. Alfred Russel Wallace hat als einer der ersten die Fauna dieser Region erforscht, was zu seiner von Charles Darwin unabhängigen Entwicklung der Evolutionstheorie führte. Daneben legte er die Grundlage der Biogeographie: diese untersucht die geographische Verbreitung von Organismen, sowie die Faktoren, die entsprechende Verbreitungsmuster formen. Wallace hat sich, wie damals üblich, in erster Linie mit auffälligen Tiergruppen wie Vögeln und Schmetterlingen beschäftigt. Er sammelte aber auch Käfer, unter anderem einige kleine Rüsselkäfer der artenreichen Gattung Trigonopterus.
Käfer dieser Gattung sind flügellos und deshalb auch flugunfähig, was die meisten Arten auf relativ kleine Verbreitungsgebiete beschränkt. Alexander Riedel, Wissenschaftler am Naturkundemuseum Karlsruhe,) hat umfangreiche Studien über Trigonopterus durchgeführt, und bereiste dafür Südostasien, Australien, und Neuguinea. Riedel erklärt: “Nachdem ich mehr als 370 neue Arten beschrieben hatte und noch Hunderte weiterer Arten vorlagen, dachten wir, dass es Zeit ist, das Gesamtbild zu betrachten und die Evolutionsgeschichte aller Trigonopterus-Arten zu untersuchen.”
Basierend auf DNA-Daten von 1.006 Arten hat Harald Letsch (Universität Wien) eine zeitkalibrierte Phylogenie berechnet. Diese ist nicht nur einer der umfangreichsten Stammbäume, die jemals für eine einzelne Tiergattung erstellt wurden, sondern lässt auch neue Einblicke in die komplexe geologische Entstehungsgeschichte der Region sowie ihrer außergewöhnlichen und bedrohten Biodiversität zu.
Insbesondere zeigt die Arbeit von Letsch et al., dass innerhalb der 40 Millionen Jahre dauernden Entwicklung von Trigonopterus nur relativ wenige weiträumige Ausbreitungsereignisse, vermutlich durch Meeresströmungen, stattgefunden haben. So weist die Entwicklung der übrigen Evolutionslinien eine starke Signatur regionaler geologischer Geschichte auf, verursacht durch Entstehung und Erosion von Inseln und deren topographischer Merkmale. Geographische Isolation führt insbesondere bei Arten mit geringer Ausbreitungsfähigkeit wie flugunfähigen Käfern dazu, dass sich einzelne Populationen auseinanderentwickeln und sich letztendlich getrennte Arten ausbilden. In einem verinselten Lebensraum zeigen Diversifizierungsraten das Vorhandensein und eventuell die Zunahme von verfügbarem Lebensraum an, unabhängig davon, ob diese Landgebiete heute noch existieren. So können biologische Daten wie die der Rüsselkäfer Informationen über die geologische Landschaft ihrer Lebensräume liefern, selbst wenn die einst vorhandenen Inseln mittlerweile durch Erosion verschwunden sind.
Letsch et al. konnten schließlich anhand der Evolutionsgeschichte von TrigonopterusKarten zur Landentwicklung in Indonesien und dem West Pazifik skizzieren, die 40 Millionen Jahre in die Vergangenheit schauen. Dies ermöglicht faszinierende neue Einblicke in die geheimnisvolle geologische Geschichte der Region. Zum Beispiel gehen die Autoren davon aus, dass Teile der Papuanischen Halbinsel von Neuguinea vor 40 Millionen Jahren bereits aus dem Meer aufragten, früher als manche der derzeitigen Hypothesen annehmen. Die Diversifizierung von Trigonopterus auf Samoa hat anscheinend bereits vor ca. 23 Millionen Jahren begonnen. Eine Erklärung liefert der westlichste Ausläufer der Inselkette, der heute unter Wasser liegt. Vermutlich fiel eine frühe Insel mit ihren Lebensräumen der Erosion zum Opfer und ist heute nur noch auf unterseeischen Reliefkarten zu sehen. So konnten Letsch, Riedel und Kollegen zeigen, dass Ihr Ansatz der Geologie wertvolle Hinweise liefern kann. So könnte sich die Rolle der Biogeographie verändern und von einem Informationsempfänger zu einem Lieferanten nützlicher Informationen für andere Wissenschaftsgebiete werden.