Andrias 19 - page 349

S
chofer
: J
ulius
H
auck
(1876-1966), ein patriotischer Pilzkundler
283
Es gab zwar Obstbau, aber die etwa 6.000 Ein-
wohner des lebendigen Landstädtchens mit
großem Hinterland verdienten ihren Lebensun-
terhalt als Kaufleute, Beamte und Angestellte
in den örtlichen Handwerksbetrieben, Behör-
den und Fabriken. In vielen Betrieben wie den
Sandsteinbrüchen, den Steinhauerbetrieben,
den holzverarbeitenden Betrieben, der Eisen
verarbeitenden Industrie, dem Schiffbau und
der Schifffahrt fehlten schon bald die zum Heer
eingezogenen wehrtüchtigen Männer. Dadurch
ging die Produktion vieler Güter zurück und da-
mit auch der Verdienst der Bevölkerung. Außer-
dem mussten aus den Nordvogesen evakuierte
Flüchtlinge aufgenommen und versorgt werden.
Die Berichte und Aufrufe in der Eberbacher Zei-
tung vermitteln ein lebhaftes Bild der durch den
Krieg notleidenden Bevölkerung. Für Bedürftige
wurde die Schulspeisung eingeführt und eine
Kriegsküche eröffnet. Es wurden Nahrungsmit-
telbezugscheine eingeführt, die den Menschen
das Nötigste zum Leben sicherstellen sollten.
Die Läden waren nur noch vormittags geöff-
net, und man konnte den Geschützdonner aus
den Vogesen und Verdun hören. Die Anzeigen
häuften sich, in denen Eltern und Ehefrauen
„schmerzerfüllt“ den Tod eines geliebten Men-
schen anzeigen, der den „Heldentod für das Va-
terland“ gestorben sei (W
eiss
1927: 400-409).
In dieser schwierigen Lage der „Volksernährung“
schlug die Stunde des pilzkundigen Patrioten
J
ulius
H
auck
. Er schrieb: „Der furchtbare Krieg,
der die gesamte Kultur erschüttert, hat das
deutsche Volk vor große Aufgaben gestellt. Der
aufgezwungene Hungerkrieg legte die Ernäh-
rungsfrage in den Mittelpunkt aller Aufgaben. Der
zielbewussten Organisation im Bunde mit dem
unerschütterlichen Willen des gesamten Volkes
zu siegen ist es gelungen, die zur Ernährung un-
entbehrlichsten Nahrungsmittel sicherzustellen.
Enger und enger werden jedoch die Grenzen
der zur Erhaltung der Volkskraft nötigen Men-
gen. Es ist daher freudigst zu begrüßen, dass
bisher unbeachtete oder doch nur von wenigen
verwertete Erzeugnisse von Wald und Flur, Feld
und Trift den ihnen gebührenden Platz als Volks-
nahrungsmittel erhalten. Dazu gehören in erster
Linie die Pilze“ (H
auck
1916b, Einleitung).
Mit dieser aus der Not geborenen Erkenntnis
hielt es H
auck
für seine vaterländische Pflicht,
sein Wissen über Pilze in den Dienst der All-
gemeinheit zu stellen, woraufhin er mit großem
Engagement in Eberbach eine Aufklärungskam­
pagne über Pilze und ihre Verwertung startete.
Pilzwanderungen, Pilzausstellungen,
Vorträge und Beratungen
Ab Mitte Juli 1916 startete in Eberbach eine
breit angelegte Pilzaufklärungskampagne unter
der Federführung des Hauptlehrers J. H
auck
.
Unterstützt wurde das Vorhaben vom Volksbil-
dungsverein, dem Frauenverein und dem Gar-
tenbauverein, die in der Eberbacher Zeitung
eine großformatige Anzeige aufgegeben hatten.
Begonnen wurde am Wochenende vom 14. Juli
1916 mit einem Vortrag von H
auck
über Pilzver-
wertung (Abb. 2), es folgten eine Pilzwanderung
und eine Pilzausstellung, auf der 100 Arten prä-
sentiert wurden. Alle Veranstaltungen waren gut
besucht und fanden ein positives Echo in der Be-
völkerung und in der örtlichen Presse (EZ 1916,
17. Juli)
1
.
Besonders begeistert waren die Eberbacher
über einen weiteren Vortrag, gehalten vom Geh.
Hofrat L
udwig
K
lein
(1857-1927), Professor für
Botanik an der Technischen Hochschule Karls-
ruhe. Die Eberbacher Zeitung (EZ 1916, 26. Juli)
schrieb darüber: „’Die Pilze als Volksnahrungs-
mittel’ war sehr gut besucht. Mit gespannter Auf-
merksamkeit verfolgten die Anwesenden die kla-
ren und leicht verständlichen Ausführungen des
Vortragenden, der seine Erläuterungen durch
herrliche Lichtbilder illustrierte.“ K
lein
war vom
Badischen Unterrichtsministerium abgestellt
worden, „Propaganda für stärkere Ausnutzung
unserer Pilzschätze“ zu machen. Dafür reiste er
durch ganz Baden, hielt Lichtbildervorträge, or-
ganisierte Pilzausstellungen und gab vor allem
pilzkundliche Fortbildungskurse für Lehrer, die
man sich als Multiplikatoren wünschte (EZ 1917,
22. Juni). Dazu hatte er sich eine stattliche Diapo-
sitivsammlung angelegt, die er einerseits selbst
aufgenommen und koloriert hatte, andererseits
von dem Maler J
osef
H
anel
erworben hatte. Die-
se Sammlung bildete den Grundstock für K
lein
s
populärwissenschaftliches Pilzbuch „Gift- und
Speisepilze und ihre Verwechselungen“ (K
lein
1921: 5-7).
Nach dieser Einstiegskampagne führte H
auck
seine pilzkundliche Aufklärungsarbeit mit groß-
em Eifer über die Jahre bis 1918 fort. Er bot kon-
tinuierlich Wanderungen an und veröffentlichte
in der Eberbacher Zeitung immer wieder kleine
Artikel über den Umgang und die Verwertung von
Pilzen (EZ 1916, 17., 19., 22., 24., 26. Juli; 3.,
1
Sämtliche zitierten Artikel in der EZ (Eberbacher Zei-
tung) sind unsigniert. Aus dem Inhalt vieler Artikel lässt
sich allerdings vermuten, dass H
auck
der Autor war.
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