S
        
        
          choller
        
        
          : Vorwort/Preface
        
        
          5
        
        
          Pilze verbindet der Laie zunächst meist mit einer
        
        
          leckeren Mahlzeit. Champignons, Steinpilze oder
        
        
          Morcheln sind äußerst schmackhaft und heute
        
        
          regelmäßiger Bestandteil unserer Speisen. Be-
        
        
          kannt sind auch die Bierhefe und der Blauschim-
        
        
          mel im Käse und damit eher unscheinbare Pilze,
        
        
          die wir (industriell) zur Herstellung oder Verede-
        
        
          lung von Lebens- und Genussmitteln nutzen. In
        
        
          die Gruppe der nützlichen Schimmelpilze fallen
        
        
          außerdem wichtige Antibiotikaproduzenten. An-
        
        
          dere Pilze fürchten wir, etwa den tödlich giftigen
        
        
          Grünen Knollenblätterpilz, Schimmelpilze an
        
        
          feuchten Wänden und in Lebensmitteln oder den
        
        
          Hausschwamm im Kellergewölbe.
        
        
          Ansonsten werden Pilze oft nicht wahrgenom-
        
        
          men – im Gegensatz zu Pflanzen, die allgegen-
        
        
          wärtig sind, oder zu Tieren, wie Eichhörnchen,
        
        
          Blaumeise oder Zitronenfalter, die uns schon im
        
        
          eigenen Garten begegnen. Umso erstaunlicher
        
        
          ist es, dass die so genannten Echten Pilze, zu
        
        
          denen die allermeisten Pilzarten gehören, ein ei-
        
        
          genes Reich (Regnum Fungi) von großer Vielfalt
        
        
          bilden. Mit geschätzten 1,5 Millionen Arten über-
        
        
          treffen sie die Gefäßpflanzen um das Fünf- bis
        
        
          Sechsfache. In diesem Zusammenhang sei an-
        
        
          gemerkt, dass die Pilze, was viele nicht wissen,
        
        
          mitnichten zu den Pflanzen (Regnum Plantae)
        
        
          gehören, sondern die Schwestergruppe der
        
        
          Tiere (Regnum Animalia) bilden. Auch sind sie
        
        
          potentiell unsterblich und bilden die größten In-
        
        
          dividuen. − So breitet der in der populären Pres-
        
        
          se häufig als „größter Organismus“ klassifizierte
        
        
          Hallimasch sein Pilzgeflecht über mehrere km
        
        
          2
        
        
          aus. Die Unscheinbarkeit der Pilze erklärt sich
        
        
          damit, dass sie sich dem Menschen meist nur
        
        
          anhand ihrer unregelmäßig und kurzzeitig gebil-
        
        
          deten Fruchtkörper zeigen. Die in ihrer Gesamt-
        
        
          heit als Myzel bezeichneten Pilzfäden (Hyphen)
        
        
          im Substrat (Boden, Holz, Streu, Horn, lebendes
        
        
          Gewebe von Wirtsorganismen) stellen die meist
        
        
          unsichtbare Hauptmasse des Organismus dar.
        
        
          Die Hyphen scheiden Enzyme in das Substrat
        
        
          aus, nehmen dann die zerkleinerten Teile durch
        
        
          Endocytose auf und gewinnen so die Energie für
        
        
          Wachstum und Fortpflanzung. Durch diese äu-
        
        
          ßere Verdauung unterscheiden sie sich von den
        
        
          meistenTieren (innereVerdauung oder Ingestion)
        
        
          und den autotrophen Pflanzen. Bei Pilzen sind
        
        
          drei Grundtypen der Ernährung bekannt: Als Sa-
        
        
          probionten zersetzen sie totes organisches Ma-
        
        
          terial und mineralisieren es. Ohne Saprobionten
        
        
          wäre ein Leben auf dem Planeten nicht möglich,
        
        
          da die anderen Organismen im „organischen
        
        
          Müll“ ersticken würden. Als Symbionten (Mykor-
        
        
          rhiza- und Flechtenpilze) versorgen sie Pflanzen
        
        
          mit Wasser und Mineralstoffen und fördern deren
        
        
          Wachstum. Schließlich gibt es unter den Pilzen
        
        
          auch reichlich Parasiten von Pflanzen und Tie-
        
        
          ren. Deren Bedeutung u.a. als Regulator und
        
        
          Evolutionsmotor ist immens. Der Mensch sieht
        
        
          das nicht immer aus dieser Perspektive, zumal
        
        
          viele Parasiten auch bedeutende Kulturpflanzen-
        
        
          schädlinge sind, die Ernteerträge mindern und
        
        
          Zierpflanzen „verunstalten“.
        
        
          Wenngleich in der Gesamtbevölkerung das
        
        
          Wissen um Pilze eher gering ist, so muss doch
        
        
          betont werden, dass es auch eine nicht geringe
        
        
          Zahl von Menschen gibt, die sich mit Pilzen be-
        
        
          schäftigen. Dies sind einerseits Pilzsammler und
        
        
          Freizeitpilzkundler, häufig organisiert in Pilz
        
        
          vereinen, andererseits professionelle Mykologen,
        
        
          etwa in der freien Wirtschaft (meist Industrie), an
        
        
          Universitäten und anderen Forschungseinrich-
        
        
          tungen, Pflanzenzüchter, Phyto- und Forstpatho-
        
        
          logen, Mediziner, Ökologen, Naturschützer etc.
        
        
          Dies galt und gilt auch heute noch ganz speziell
        
        
          für Baden-Württemberg, das südwestdeutsche
        
        
          Bundesland mit seinen knapp 10,8 Millionen Ein-
        
        
          wohnern.
        
        
          Die professionelle wissenschaftliche Mykologie
        
        
          im heutigen Baden-Württemberg nahm ihren
        
        
          Aufschwung, wie andernorts in Mitteleuropa, in
        
        
          der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Geför-
        
        
          dert wurde sie durch den Staat, auch als Fol-
        
        
          ge der zahlreich eingeschleppten und ökono-
        
        
          misch bedeutenden Kulturpflanzenschädlinge
        
        
          (Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel, Echter
        
        
          und Falscher Mehltau des Weins). Hier muss
        
        
          vor allem Prof. H
        
        
          einrich
        
        
          A
        
        
          nton
        
        
          de
        
        
          B
        
        
          ary
        
        
          (1831-
        
        
          1888) genannt werden. Der in Frankfurt a. M.
        
        
          Morcheln, Mykotoxine und Moleküle:
        
        
          Mykologie in Baden-Württemberg
        
        
          M
        
        
          arkus
        
        
          S
        
        
          choller