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andrias, 19
(2012)
Einleitung
Die mykologische Forschung am ehemaligen
Lehrstuhl Spezielle Botanik und Mykologie der
Universität Tübingen betrachten wir in diesem
Rückblick unter dem Gesichtspunkt des Fort-
schritts unserer Wissenschaftsdisziplinen. Um
unsere Forschungsrichtungen, die schwerpunkt-
mäßig auf Systematik, Evolution und Ökologie
der Basidiomyceten ausgerichtet waren, vor 40
Jahren dem neuesten Stand der Methodik anzu-
passen, hat O
berwinkler
, der den Lehrstuhl am
1.3.1974 übernahm, neben einer neuen lichtmi-
kroskopischen Ausstattung auch ein elektronen-
mikroskopisches Labor einrichten können. Die
Voraussetzungen für die Kultivierung und expe-
rimentelle Untersuchung von Pilzen wurden ge-
schaffen. Dies war der Weitsicht des damaligen
Präsidenten der Universität Tübingen, A
dolf
T
heis
, zu verdanken. Es ermöglichte der jungen
Tübinger Mykologengruppe den gleichzeitigen
Einstieg in die aktuellen Forschungsmethoden
der Ultrastruktur, der Kultivierung von Pilzen und
der Arbeiten mit antibiotisch aktiven Metaboliten.
Wir stellen unsere mykologische Forschung nach
Themenkreisen gegliedert dar, die durch jeweils
verwandte Pilzgruppen definiert sind. Diese Ab-
folge soll verdeutlichen, dass nicht die Einrich-
tung unterschiedlich methodischer, voneinander
getrennter Arbeitsrichtungen unser Ziel war,
sondern ganz im Gegenteil eine möglichst enge
Vernetzung. Diese über Jahrzehnte praktizierte
Forschungsstrategie hat sich für alle kooperativ
beteiligten Mitarbeiter als optimal erwiesen.
Dem Lehrstuhl angegliedert war eine selbstän-
dige Abteilung für Vegetationskunde unter der
Leitung von W
ilhelm
S
auer
. Vom mykologischen
Bereich war auch die Arbeitsgruppe von A
xel
B
rennicke
, die molekularbiologisch an höheren
Pflanzen arbeitete, thematisch abgekoppelt. Seit
2009 wird der Lehrstuhl, der inzwischen in „Or-
ganismische Botanik“ umbenannt wurde, kom-
missarisch von M
ichael
W
eiss
geleitet.
Die Benennung der Taxa, von den Ordnungen bis
zur Abteilung, folgt der Nomenklatur von H
ibbett
et al. (2007). Taxonnamen werden ohne Autoren
verwendet. Um auch Nicht-Mykologen den Text
verständlich zu machen, wurden, soweit möglich,
neben wissenschaftlichen auch gebräuchliche
deutsche Volksnamen verwendet. Zitiert werden
in diesem Rückblick nur Publikationen, die an un-
serem Lehrstuhl entstanden sind oder an denen
unsere Mitarbeiter beteiligt waren. Damit werden,
bedauerlicherweise, Diplom- und Zulassungsar-
beiten nicht referiert.
Ausgangspunkt unserer verschiedenen myko-
logischen Forschungsrichtungen waren immer
Pilze in ihren Lebensräumen. Dieser Ansatz be-
stätigte ständig den Stellenwert der Geländear-
beit mit Beobachten, Erkennen, Sammeln, Iden-
tifizieren und schließlich Kultivieren der Pilze. In
dieses Primärkonzept ging der Lebensraum als
die zentrale ökologische Komponente schlecht-
hin ein, und damit wurden die jeweiligen Pflan-
zen- und Tierarten als obligate Interaktionspart-
ner der Pilze angemessen berücksichtigt.
Zu Beginn standen Arbeiten an zellulären Bau-
plänen saprober und parasitischer Basidiomyce-
ten sowie Isolierungen und Charakterisierungen
antibiotischer Inhaltsstoffe von ausgewählten Ar-
ten. Es folgte 1978 eine Ausweitung der Untersu-
chungen auf Boden- und Holzpilze sowie Mykor-
rhizen von heimischen Waldbäumen im Rahmen
der Waldschadensforschung. Als molekulare
Analysen von Pilzen möglich wurden, haben wir
diese mit den seither bewährten Methoden ver-
knüpft, um Aussagen zur Biodiversität, Ökologie
und Phylogenie der Pilze zu optimieren.
Pilze
In einer aktualisierten Übersicht haben P
rillinger
et al. (2002) die Systematik und Phylogenie der
Echten Pilze (Fungi) unter besonderer Berück-
sichtigung der Asco- (Schlauchpilze) und Basidi-
omyceten (Ständerpilze) dargestellt. – Basierend
auf den Genomen von 21 Pilzen, drei Tieren und
Arabidopsis thaliana haben K
uramae
et al. (2006)
ein Dendrogramm erstellt, für das sie die größt-
mögliche Sicherheit einer richtigen phylogene-
tischen Hypothese annahmen. Die Tiere stellen
die Schwestergruppe der Pilze dar, Asco- und Ba-
sidiomycota sind Nachbarabteilungen. – Für das
groß angelegte Projekt „Assembling the Fungal
Tree of Life“ (AFTOL) haben C
elio
et al. (2006)
auf die benötigten Datenbanken für strukturelle
und biochemische Merkmale hingewiesen. Um
die dabei auftretenden Schwierigkeiten zu ver-
deutlichen, wurden Septenporen, Kernteilungen
und Spindelpolzyklen als Beispiele erläutert.
Basidiomycota, Ständer- oder Basidienpilze
Bei der Tagung der damals noch als „Gesell-
schaft für Pilzkunde“ benannten und durch Mit-
gliederbeschluss in „Gesellschaft für Mykologie“
umbenannten Vereinigung in Tübingen hat O
ber
-
winkler
am 29.9.1977 zum Thema „Was ist ein
Basidiomycet“ referiert (O
berwinkler
1978). Die
von ihm angeführten fünf Merkmalsträger zur
Unterscheidung von Asco- und Basidiomycota,