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: Neue Naturschutzgebiete im Regierungsbezirk Karlsruhe
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Die Artenliste belegt die Bedeutung des Ge-
bietes für den Fledermausschutz. Eine wichtige
Rolle spielt dabei die Nähe des Wassers und
die Wärmespeicherung des Hangs, die für eine
vermutlich überdurchschnittliche Insektendichte
in sommerlichen Dämmerungsstunden sorgen.
Über der Wiese in Wassernähe entlang der Enz
wurden die meisten Rufe aufgezeichnet: Hier ja-
gen die Fledermäuse bevorzugt.
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Wildbienenarten
wurden 2010 im Gebiet
nachgewiesen. Siebzehn davon stehen auf der
Roten Liste Baden-Württembergs, beispiel-
haft seien die stark gefährdeten Mauerbienen
Osmia andrenoides und O. gallarum aufgeführt.
Die tatsächlich vorhandene Wildbienenfauna
ist vermutlich wesentlich umfangreicher: 1990
konnten insgesamt 117 Arten nachgewiesen
werden, darunter die vom Aussterben bedrohte
Wespenbiene Nomada mutica und die stark ge-
fährdete Blattschneiderbiene Megachile pilidens
(T
reiber
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chmid
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gger
1990). Der große Un-
terscheid in der Anzahl nachgewiesener Arten
erklärt sich möglicherweise durch die wesent-
lich umfassendere Methodik der früheren Unter­
suchung. Allerdings sollte die Situation der 2010
vermissten, stark gefährdeten Arten im Zuge
des Artenschutzprogramms des Landes Baden-
Württemberg geklärt und soweit möglich verbes-
sert werden.
Aus den Gruppen
Tagfalter und Widderchen
konnten 32 Arten nachgewiesen werden. Acht-
zehn Arten sind landesweit, fünf Arten darüber
hinaus auch bundesweit gefährdet: Segelfalter
(Iphiclides podalirius), Magerrasen-Perlmut-
terfalter (Boloria dia), Himmelblauer und Kurz-
schwänziger Bläuling (Polyommatus bellargus,
Cupido argiades) und Hufeisenklee-Widderchen
(Zygaena transalpina).
Unter den nachgewiesenen
Nachtfalterarten
ist
das regelmäßige Vorkommen des vom Ausster-
ben bedrohten Kaiserbärs (
Phragmatobia luctife-
ra,
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homas
K
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, pers. Mitt. 2010) besonders
hervorzuheben.
Sieben gefährdete
Heuschreckenarten
wur-
den nachgewiesen, darunter die Blauflügelige
Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens), die
Westliche Beißschrecke (Platycleis albopuncta-
ta), der Verkannte Grashüpfer (Corthippus mol-
lis) und der Heide-Grashüpfer (Stenobothrus
lineatus).
Mit dem
Weinzwirner
oder Lauer (Tibicina hae-
matodes) gelang der Nachweis einer sehr sel-
tenen Singzikadenart: Sie gilt in Deutschland
als vom Aussterben bedroht. Bereits 1954 wird
sie als Besonderheit der Weinberge des Neckar­
landes beschrieben, wenige Fundorte waren da-
mals noch bekannt (L
inck
1954). Die Larve die-
ser Art entwickelt sich an Schlehenwurzeln, die
Imago saugt – ohne schädlich zu sein – im Juni/
Juli an Reben.
Aus der Gruppe der
Reptilien
wurden Zaun­
eidechse (Lacerta agilis),
Mauereidechse
(Po-
darcis muralis)
und Schlingnatter (Coronilla
austriaca) im Bereich des Steinbruchs und des
Felsenbandes nachgewiesen.
Schutzwürdigkeit
Das Naturschutzgebiet ist aufgrund seiner Aus-
stattung mit Arten und Biotoptypen von landes-
weiter Bedeutung (R
eck
1996). Die Einstufung
ist durch das Vorkommen zahlreicher (teilweise
stark) gefährdeter Arten begründet. Bei keiner
der untersuchten Gruppen wurde eineVerarmung
festgestellt. Darüber hinaus erfüllt das Gebiet
auf regionaler Ebene die naturschutzfachlichen
Wertkriterien der Einzigartigkeit und Repräsen-
tanz in hohem Maß. Es hat große Bedeutung als
Trittsteinbiotop für Arten der Magerrasen und ist
ein Musterbeispiel für die Eigenart und Schön-
heit der historischen Kulturlandschaften Baden-
Württembergs.
Schutzbedürftigkeit, besondere
Bestimmungen der Verordnung
Das Gebiet ist durch die Aufgabe der Pflege, die
ungesteuerte Freizeitnutzung sowie den Eintrag
von Dünge- und Spritzmitteln ausgehend von den
wenigen noch genutzten Parzellen gefährdet.
Die natürliche Sukzession ist der stärkste Gegen-
spieler der Magerrasen auch am Kammerten-
berg. Da ihre Nutzung nicht mehr wirtschaftlich
ist, müssen kontinuierlich öffentliche Mittel einge-
setzt werden, um das Zuwachsen zu verhindern.
Die Unterschutzstellung weist das Gebiet als ein
Schutzgebiet von landesweiter Bedeutung aus
und sorgt damit dafür, dass die Mittel des Natur-
schutzes hier prioritär eingesetzt werden.
Werden durch Starkregen oder Unfall flüssige
Düngemittel von der einzigen bewirtschafteten
Wiese am Oberhang abgeschwemmt, sind kata-
strophale Schäden an den dann unweigerlich be-
troffenen, weil unterhalb liegenden Magerrasen
zu erwarten. Unspezifische, in den zwei vorhan-
denen kleinen Weinbergen ausgebrachte Insek-
tizide würden den im Juni und Juli an Weinreben
saugenden Weinzwirner quantitativ treffen. Es
erschien daher angemessen, zum Schutz der
Magerrasen und des vom Aussterben bedroh-
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