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Carolinea 72

(2014)

der Schausammlung nach einem neuen Konzept.

Die Tiere, die wir zeigen wollten, sollten nicht

mehr nur in wissenschaftlicher Systematik vorge-

stellt werden; vielmehr ging es uns darum, auch

Hinweise zu ihren Lebensräumen mit einzube-

ziehen. Dazu bedurfte es spezieller Kenntnisse,

das heißt mit anderen Worten auch des Spezi-

alisten. Und

G

erhardt

J

urzitza

war ein solcher!

Er hatte sich dem Studium der Libellen und der

Erforschung ihrer Biologie verschrieben. Von ihm

kam auch der Vorschlag, diese äußerst reizvolle,

dazu mit etwas mehr als 70 in Baden-Württem-

berg vertretenen Arten noch überschaubaren

Tiergruppe nach populärwissenschaftlichen

Maßstäben in zwei der bereits vorhandenen und

damals als modern anzusehenden Pultvitrinen

dem Museumsbesucher vorzustellen. So konnte

man schnell einen Überblick gewinnen und so-

zusagen „in Selbstbedienung“ die Arten genauer

betrachten, die in mobilen, das heißt herauszieh-

baren Glaskästen, in einer übersichtlichen und

den natürlichen Verhältnissen entsprechenden

Anordnung untergebracht waren. Beide waren

wir begeistert:

G

erhardt

J

urzitza

über die Mög-

lichkeiten, die er nutzen konnte, ich über den

Fachmann, der mir da zur Seite stand. Und so

konnten wir den bereits ausgestellten Schmetter-

lingen und Käfern mit den zwei Libellenvitrinen

eine neue Gruppe hinzufügen, die damals sehr

beachtet wurde.

Während der Arbeit, die wir uns teilten, lernte

ich ihn als einen humorvollen, zuweilen auch

streitbaren Menschen kennen. Er konnte so-

gar scharfzüngig reagieren, blieb jedoch immer

darauf bedacht, mit stichhaltigen Argumenten

zu überzeugen. Leere Worte waren ihm fremd.

Etwa zur gleichen Zeit, es waren die sechziger

Jahre, rief ich die Entomologische Arbeitsge-

meinschaft des Naturwissenschaftlichen Vereins

Karlsruhe e.V. ins Leben, in der

G

erhardt

J

ur

-

zitza

eine herausragende Rolle spielen sollte.

Hier trat er nicht nur als Libellenspezialist auf,

sondern bezog auch zu anderen Themen aus

der Insektenkunde sehr pointiert und zugleich

stets gut informiert Stellung. Daneben erfreute

er uns, seine interessierten und jederzeit diskus­

sionsbereiten Zuhörer, mit zahlreichen Vorträ-

gen, nicht zuletzt über seine Forschungs- und

Sammelreisen. Zum ersten Male sahen wir Bil-

der von den Iguazú-Wasserfällen an der Grenze

von Brasilien und Argentinien, lange noch bevor

H

einz

S

ielmann

und seine Mitarbeiter das neue

Genre der Tierfilme serienmäßig im Fernsehen

verbreitet haben.

G

erhardt

J

urzitza

verstand es,

seine entomologischen Erlebnisse sehr kurzwei-

lig darzubieten. Dazu war er ein ausgezeichneter

Fotograf, der die Makrofotografie im „analogen

Zeitalter“, als man noch einen Film in die Kame-

ra einfädeln musste, meisterhaft beherrschte.

Gerade sie war es, die ihn damals zum Leiter

eines Karlsruher Vereins von Amateurfotografen

werden ließ. Auch dort hinterließ er mit seinen

Vorträgen und beispielhaften Projektionen wun-

derbarer Fotosequenzen bei jedem, der es mit-

erleben durfte, einen bleibenden Eindruck. Wie

gewohnt, stand auch hier seine Lieblingsgruppe,

die „Teufelsnadeln und Azurjungfern“, wie

S

chie

-

menz

die Libellen genannt hatte, im Mittelpunkt

der Betrachtung.

Ich habe

G

erhardt

J

urzitza

später, als er sich

in sein Haus in Knielingen zurückgezogen hatte,

allmählich aus den Augen verloren; doch immer

werde ich ihn als einen auf allen Gebieten der

Entomologie beschlagenen und auf dem spe-

ziellen Gebiet der Makrofotografie geradezu

herausragenden Kollegen in Erinnerung behal-

ten. Er gehörte zu den Menschen, die heute,

im Gleichklang der ständig neuen technischen

Errungenschaften und ihrer allgemeinen An-

wendung, als unverwechselbare Persönlichkeit

immer seltener werden.

G

erhardt

J

urzitza

hat

in seinem Leben Maßstäbe gesetzt. Sie haben

ihn, zumindest auf dem Feld der Odonatologie,

berühmt werden lassen, wie die Laudatio zu sei-

nem 70. Geburtstag von den Koryphäen K

iauta

aus den Niederlanden und

I

noue

aus Japan

bezeugt. Den bewegenden Worten, die beide

ihrem „dear

G

erhardt

“ gewidmet haben, wollen

wir jetzt, nach seinem Tod, aus Karlsruhe un-

seren bescheidenen Dank für das hinzufügen,

was

G

erhardt

J

urzitza

für uns im Museum und

vor allem in der Entomologischen Arbeitsge-

meinschaft des Naturwissenschaftlichen Vereins

Karlsruhe e.V. geleistet hat.

G

erhardt

J

urzitza

wurde am 30. November 1929

in Schlesisch-Ostrau (heute Ostrava), geboren

als Sohn des Oberbuchhalters

F

ranz

J

urzitza

. Er

besuchte die deutsche Volksschule in Mährisch-

Ostrau von 1935 bis 1939, danach bis 1944 die

Oberschule für Jungen, gleichfalls in Mährisch-

Ostrau. Der Schulbesuch wurde dann unterbro-

chen durch Kriegsende, Konzentrationslager,

Zwangsarbeit und Vertreibung aus der

Č

SSR.

Von 1947 bis 1951 setzte er den Schulbesuch

fort am Realgymnasium in Ettlingen bei Karls-

ruhe, wo er 1951 das Abitur machte. Bis 1955

studierte er Biologie an der Technischen Hoch-

schule Karlsruhe und der Universität Heidelberg.