164
Carolinea 72
(2014)
der Schausammlung nach einem neuen Konzept.
Die Tiere, die wir zeigen wollten, sollten nicht
mehr nur in wissenschaftlicher Systematik vorge-
stellt werden; vielmehr ging es uns darum, auch
Hinweise zu ihren Lebensräumen mit einzube-
ziehen. Dazu bedurfte es spezieller Kenntnisse,
das heißt mit anderen Worten auch des Spezi-
alisten. Und
G
erhardt
J
urzitza
war ein solcher!
Er hatte sich dem Studium der Libellen und der
Erforschung ihrer Biologie verschrieben. Von ihm
kam auch der Vorschlag, diese äußerst reizvolle,
dazu mit etwas mehr als 70 in Baden-Württem-
berg vertretenen Arten noch überschaubaren
Tiergruppe nach populärwissenschaftlichen
Maßstäben in zwei der bereits vorhandenen und
damals als modern anzusehenden Pultvitrinen
dem Museumsbesucher vorzustellen. So konnte
man schnell einen Überblick gewinnen und so-
zusagen „in Selbstbedienung“ die Arten genauer
betrachten, die in mobilen, das heißt herauszieh-
baren Glaskästen, in einer übersichtlichen und
den natürlichen Verhältnissen entsprechenden
Anordnung untergebracht waren. Beide waren
wir begeistert:
G
erhardt
J
urzitza
über die Mög-
lichkeiten, die er nutzen konnte, ich über den
Fachmann, der mir da zur Seite stand. Und so
konnten wir den bereits ausgestellten Schmetter-
lingen und Käfern mit den zwei Libellenvitrinen
eine neue Gruppe hinzufügen, die damals sehr
beachtet wurde.
Während der Arbeit, die wir uns teilten, lernte
ich ihn als einen humorvollen, zuweilen auch
streitbaren Menschen kennen. Er konnte so-
gar scharfzüngig reagieren, blieb jedoch immer
darauf bedacht, mit stichhaltigen Argumenten
zu überzeugen. Leere Worte waren ihm fremd.
Etwa zur gleichen Zeit, es waren die sechziger
Jahre, rief ich die Entomologische Arbeitsge-
meinschaft des Naturwissenschaftlichen Vereins
Karlsruhe e.V. ins Leben, in der
G
erhardt
J
ur
-
zitza
eine herausragende Rolle spielen sollte.
Hier trat er nicht nur als Libellenspezialist auf,
sondern bezog auch zu anderen Themen aus
der Insektenkunde sehr pointiert und zugleich
stets gut informiert Stellung. Daneben erfreute
er uns, seine interessierten und jederzeit diskus
sionsbereiten Zuhörer, mit zahlreichen Vorträ-
gen, nicht zuletzt über seine Forschungs- und
Sammelreisen. Zum ersten Male sahen wir Bil-
der von den Iguazú-Wasserfällen an der Grenze
von Brasilien und Argentinien, lange noch bevor
H
einz
S
ielmann
und seine Mitarbeiter das neue
Genre der Tierfilme serienmäßig im Fernsehen
verbreitet haben.
G
erhardt
J
urzitza
verstand es,
seine entomologischen Erlebnisse sehr kurzwei-
lig darzubieten. Dazu war er ein ausgezeichneter
Fotograf, der die Makrofotografie im „analogen
Zeitalter“, als man noch einen Film in die Kame-
ra einfädeln musste, meisterhaft beherrschte.
Gerade sie war es, die ihn damals zum Leiter
eines Karlsruher Vereins von Amateurfotografen
werden ließ. Auch dort hinterließ er mit seinen
Vorträgen und beispielhaften Projektionen wun-
derbarer Fotosequenzen bei jedem, der es mit-
erleben durfte, einen bleibenden Eindruck. Wie
gewohnt, stand auch hier seine Lieblingsgruppe,
die „Teufelsnadeln und Azurjungfern“, wie
S
chie
-
menz
die Libellen genannt hatte, im Mittelpunkt
der Betrachtung.
Ich habe
G
erhardt
J
urzitza
später, als er sich
in sein Haus in Knielingen zurückgezogen hatte,
allmählich aus den Augen verloren; doch immer
werde ich ihn als einen auf allen Gebieten der
Entomologie beschlagenen und auf dem spe-
ziellen Gebiet der Makrofotografie geradezu
herausragenden Kollegen in Erinnerung behal-
ten. Er gehörte zu den Menschen, die heute,
im Gleichklang der ständig neuen technischen
Errungenschaften und ihrer allgemeinen An-
wendung, als unverwechselbare Persönlichkeit
immer seltener werden.
G
erhardt
J
urzitza
hat
in seinem Leben Maßstäbe gesetzt. Sie haben
ihn, zumindest auf dem Feld der Odonatologie,
berühmt werden lassen, wie die Laudatio zu sei-
nem 70. Geburtstag von den Koryphäen K
iauta
aus den Niederlanden und
I
noue
aus Japan
bezeugt. Den bewegenden Worten, die beide
ihrem „dear
G
erhardt
“ gewidmet haben, wollen
wir jetzt, nach seinem Tod, aus Karlsruhe un-
seren bescheidenen Dank für das hinzufügen,
was
G
erhardt
J
urzitza
für uns im Museum und
vor allem in der Entomologischen Arbeitsge-
meinschaft des Naturwissenschaftlichen Vereins
Karlsruhe e.V. geleistet hat.
G
erhardt
J
urzitza
wurde am 30. November 1929
in Schlesisch-Ostrau (heute Ostrava), geboren
als Sohn des Oberbuchhalters
F
ranz
J
urzitza
. Er
besuchte die deutsche Volksschule in Mährisch-
Ostrau von 1935 bis 1939, danach bis 1944 die
Oberschule für Jungen, gleichfalls in Mährisch-
Ostrau. Der Schulbesuch wurde dann unterbro-
chen durch Kriegsende, Konzentrationslager,
Zwangsarbeit und Vertreibung aus der
Č
SSR.
Von 1947 bis 1951 setzte er den Schulbesuch
fort am Realgymnasium in Ettlingen bei Karls-
ruhe, wo er 1951 das Abitur machte. Bis 1955
studierte er Biologie an der Technischen Hoch-
schule Karlsruhe und der Universität Heidelberg.