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Carolinea 72
(2014)
Während die Anatomie (
B
ernor
et al. 1997)
und Paläoökologie (
W
olf
et al. 2012) des Hö-
wenegg-Pferdes
Hippotherium
bereits ausgiebig
untersucht wurden, wurde die Erforschung der
Antilope
Miotragocerus
, die inzwischen als häu-
figstes Säugetier der Fundstelle gilt, weitgehend
vernachlässigt. Dies ist auch deshalb überra-
schend, da diese Bovidenart bzw. eng verwandte
Taxa in Mitteleuropa und auch in vielen weiteren
Teilen der Alten Welt auftreten, in der Regel aber
nur als wenig aussagekräftige Einzelknochen
oder isolierte Hornkerne bzw. -zapfen, seltener
auch als disartikulierte Schädel vorliegen (z.B.
T
obien
1953, S
olounias
1981, S
passov
& G
eraads
2004, K
ostopoulos
& B
ernor
2011). Die vorherr-
schende Fundlage hinsichtlich basaler Boviden
sowie der vermutete ausgeprägte Sexualdimor-
phismus innerhalb dieser Arten haben maßgeb-
lich dazu beigetragen, dass die Identifizierung
und Systematik von
Miotragocerus
und ähnlicher
früher boselaphiner Boviden wie insbesondere
Tragoportax
kontrovers diskutiert wurden (z.B.
cf
. G
entry
& H
eizmann
1996,
S
passov
& G
eraads
2004, K
ostopoulos
2005, K
ostopoulos
2006).
Die einzige umfangreiche wissenschaftliche Ar-
beit, die sich mit den
Miotragocerus
-Skeletten
der Höwenegg- Fundstelle beschäftigt, ist eine
unpublizierte Habilitation, die die Anatomie von
Miotragocerus
anhand ausgewählter Skelette
der ursprünglichen Grabungsphase beschreibt
(
B
erg
1970), allerdings das postcraniale Ach-
senskelett weitgehend nicht berücksichtigt und
natürlich alle neueren Funde nicht beinhaltet.
Darüber hinaus behandelt auch ein Abschnitt
einer gleichfalls unpublizierten Doktorarbeit die
Anatomie des Höwenegg-Boviden (
R
omaggi
1987). Auch Zitate dieser beiden Arbeiten sind
in der aktuellen Literatur selten (z.B.
S
passov
&
G
eraads
2004), so dass
Miotragocerus
vom Hö-
wenegg trotz des großen Potentials für die Er-
forschung der Anatomie und Systematik sowie
Paläoökologie basaler Boviden wissenschaftlich
bisher eine zu vernachlässigende Rolle spielte.
Die Funde der aktuellen Grabungsphase, die ei-
nige hervorragende neue Bovidenskelette her-
vorgebracht hat, blieben bisher weitestgehend
unbearbeitet.
Angesichts der bisherigen Forschungssituation
ist die detaillierte Untersuchung der
Miotrago-
cerus
-Funde von der Höwenegg-Lokalität von
großem wissenschaftlichem Interesse durch ihr
Potential, Lücken bezüglich des Verständnisses
der Systematik, Evolution und Verbreitung ba-
saler Boviden insbesondere im europäischen
Raum zu schließen sowie Erkenntnisse zu viel-
fältigen paläoökologischen Fragestellungen zu
ermöglichen.
Der wesentliche Teil der hier vorgestellten Stu-
die gilt der Untersuchung der generellen und
funktionalen Anatomie
von
Miotragocerus pan-
noniae
. Dazu wurde zunächst ein besonders gut
geeignetes Skelett der neuen Grabungsphase
zur morphologischen Untersuchung ausgewählt.
Die gewonnenen Erkenntnisse werden durch
Beobachtungen an den anderen derzeit prä-
parierten Exemplaren der aktuellen Grabungs-
kampagne ergänzt. Die Beschreibung soll in
Anlehnung an
B
erg
(1970), B
ernor
et al. (1997),
S
passov
& G
eraads
(2004) und
K
ostopoulos
&
B
ernor
(2011) erfolgen. Messwerte postkrani-
aler Elemente werden von verschiedenen Auto-
ren (z.B.
D
e
G
usta
& V
rba
2003, P
lummer
et al.
2008) für Interpretationen im Kontext der funktio-
nalen Anatomie und weitergehend als Hilfsmittel
zur Klärung paläoökologischer Fragestellungen
genutzt.
Während die vollständige Beschreibung der Ana-
tomie von
Miotragocerus pannoniae
im Rahmen
dieses Projektes nur an ausgewählten Fund-
stücken durchgeführt werden kann, ist es ein
weiteres Ziel dieser Arbeit, die morphologische
Variabilität aller verfügbarer Boselaphinenschä-
del der Höwenegg-Fundstelle zu erfassen; dabei
sind insbesondere Form und Dimensionen der
andernorts vielfach nur isoliert vorkommenden
Hornzapfen von großem Interesse. Für diesen
Projektteil wurden alle momentan zugänglichen
Sammlungen aufgesucht, die Höwenegg-Materi-
al beinhalten, um alle vorhandenen Schädel zu
dokumentieren.
Schließlich wurden dabei auch bereits bei
früheren Forschungsansätzen gesammelte Da-
ten zur Bestimmung der Nahrung vervollständigt
und ausgewertet. Mesowear- und Microwear-
Analysen sollen zusammengenommen dabei
helfen, die Lebensweise von
Miotragocerus
zu
bestimmen und im weiteren Sinne zur Erfor-
schung der miozänen Paläoökologie der Hö-
wenegg-Fundstelle beitragen. Die gewonnenen
Erkenntnisse werden mit den Ergebnissen ande-
rer paläoökologischer Studien zum Höwenegg,
darunter auch Analysen von stabilen Sauerstoff-
und Kohlenstoff-Isotopen (z.B.
T
ütken
et al. 2013,
N
elson
et al. [in Vorbereitung]), abgeglichen. Alle
so gewonnenen Erkenntnisse sollen in den Kon-
text der bisherigen Forschung an basalen bose-
laphinen Boviden (z.B.
S
olounias
1981, M
oyà
-
S
olà
1983, B
ouvrain
1988, M
irzaie
A
taabadi
et