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Auswertung
ursprünglich sind. Überwiegend an Fichte wach-
sen
Fellhanera bouteillei
,
F. myrtillicola
,
Lepraria
jackii
,
Micarea nitschkeana
und die beiden auf
Harz vorkommenden Ascomyceten
Sarea diffor-
mis
und
S. resinae
, während
Imshaugia aleuri-
tes
und
Lecanora ramulicola
charakteristisch für
Kiefern sind.
Erwähnenswert ist noch die vor allem im Sied-
lungsbereich angepflanzte
Rosskastanie
(
Aes-
culus hippocastanum
). Rosskastanien sind ge-
wöhnlich – auch innerhalb des Kartiergebietes
– arm an Flechten. In niederschlagsreicheren
Lagen kann unter mäßiger Eutrophierung jedoch
eine artenreiche Vergesellschaftung mit den
Xanthorion-Arten
Anaptychia ciliaris
,
Melanelixia
subargentifera
,
Pleurosticta acetabulum
,
Rama-
lina fastigiata
,
R. fraxinea
und
Xanthomendoza
fulva
ausgebildet sein.
7.3 Veränderungen der Flechtenflora in den
letzten zwei Jahrhunderten
Seit rund zwei Jahrhunderten werden im Oden-
wald Flechten beobachtet. In dieser Zeit hat die
Flechtenflora wiederholt tiefgreifende Verände-
rungen erfahren, die differenziert zu bewerten
sind.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist die erste
Hälfte des 19. Jahrhunderts, für die der Flech-
tenbestand zumindest für Teile des Gebietes
recht gut dokumentiert ist. Dabei wird davon
ausgegangen, dass der in den Arbeiten von B
AU
-
ER
(1859) und Z
WACKH
-H
OLZHAUSEN
(1862, 1864)
zum Ausdruck kommende Zustand bereits An-
fangs des 19. Jahrhunderts Realität war.
Die Zeit um 1850 gilt in Mitteleuropa allgemein
als Höhepunkt der Biodiversität. In jener Zeit
wurden weit mehr Flächen landwirtschaftlich
genutzt als heute; die Nutzungsintensität war
gemessen an den Möglichkeiten der damaligen
Zeit hoch, auch wenn sie aus heutiger Sicht
als extensiv zu bezeichnen wäre. Die Wald-Of-
fenland-Grenze – sofern man überhaupt davon
sprechen kann – war zuungunsten des Waldes
verschoben. Die Wälder des Odenwaldes wur-
den vielfältig genutzt. Neben der allgegenwärti-
gen niederwaldartigen Nutzung zur Gewinnung
von Brennholz und dem Mittelwald als Quelle
für Bauholz wurden große Teile des Waldes zur
Viehweide genutzt. Im Vordergrund stand hier-
bei die Schweinemast, die besonders ertragreich
in eichenreichen Beständen durchführbar war.
Hochwälder im heutigen Sinne dürften dagegen
kaum vertreten gewesen sein.
Eine anschauliche Beschreibung der damaligen
Wälder vermittelt S
CHMIDT
(1857) in seiner „Flo-
ra von Heidelberg“: „Wälder und Waldgebüsche
der Hügel- und Gebirgsgegend bestehen gröss-
tentheils aus Laubholz, stellenweise wechselnd
mit kleinen Beständen von Nadelholz. [...] Nie-
derwald ist überall so vorherrschend, dass selbst
einzelne wirklich alte und hohe Stämme von
Forstbäumen schon zu den Seltenheiten gehö-
ren. Diese Wälder bestehen grösstentheils aus
Quercus
,
Fagus
,
Carpinus
(Die lichtbedürftige
Hainbuche (
Carpinus
) herrscht bei H. [Heidel-
berg] besonders jenseits des Neckars; die
schattenliebende Buche (
Fagus
) wird häufiger
diesseits des Neckars gefunden.) Es wird aber
ausserdem nicht selten die holzartige Vegeta-
tion durch nicht einheimische angepflanzte Arten
vervollständigt, von welchen jedenfalls
Castanea
vulgaris
und
Juglans regia
eine hervorragendere
Bedeutung einnehmen.“
Das von S
CHMIDT
(1857) gezeichnete Waldbild
der Umgebung Heidelbergs passt nur schwerlich
zur heutigen Vorstellung von Wäldern, in denen
Arten wie
Dimerella lutea
,
Gyalecta
spp.,
Lo-
baria
spp.,
Maronea constans
,
Megalaria
spp.,
Nephroma
spp.,
Pannaria conoplea
,
Sphinctrina
spp.,
Strigula stigmatella
,
Usnea
spp. vertreten
sind (vergl. hierzu auch Kap. 6).
Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Hierüber
kann nur spekuliert werden. Ein Erklärungsver-
such ist, dass Zwackh-Holzhausen um Heidel-
berg nur noch die „Reste“ gesehen hat und be-
reits zu seiner Zeit die Arten durch die intensive
Waldnutzung im Rückgang begriffen waren.
An kaum zugänglichen Stellen (Felsenmeere,
steile Neckarhänge) waren vermutlich noch alte
Bäume vorhanden; für einige Arten dürften die im
Zuge der Niederwaldwirtschaft verbliebenen al-
ten Baumbasen gute Wuchsmöglichkeiten gebo-
ten haben. Vermutlich wurde damals nicht zuletzt
aus touristischen Gründen Wert darauf gelegt,
an Wegen und Plätzen alte Bäume zu erhalten.
Möglicherweise hilft es auch zu fragen: Was hat
sich seit damals eigentlich verändert bzw. was
ist passiert?
Zweifelsohne hat sich der
Standortfaktor
Feuchte
seither sehr stark verändert, denn es ist
davon auszugehen, dass in der Landschaft um
Heidelberg vor der Neckarregulierung, die 1920
begann, feuchtere Verhältnisse bezüglich Luft
und Boden vorherrschten.
Die Produktionsmethoden in der
Land- und
Forstwirtschaft
haben sich drastisch verändert.
In der
Forstwirtschaft
wurde die Mittelwaldwirt-
schaft zugunsten einer ausschließlichen Hoch-
waldwirtschaft mit möglichst rasch wüchsigen
Forstbaumarten aufgegeben. Zum Beispiel ist
der Bereich des Königstuhls heute durch relativ
naturferne Mischwaldbestände und Nadelholz-