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carolinea, 70
(2012)
nung lässt daher die Wiederaufnahme der Wein-
bergsnutzung in vorübergehend aufgelassenen
Weinbergen ausdrücklich zu. Auf Wunsch der
Weingärtner blieb die Ausbringung von Fungizi-
den mit dem Hubschrauber zulässig (auch wenn
dieser Brutvögel stört), da anders eine effiziente
Kontrolle pilzlicher Erkrankungen derzeit nicht
möglich ist. Allerdings prüft die Weingärtnerge-
nossenschaft derzeit bereits die Etablierung pilz-
resistenter Sorten.
Zum Schutz der Vegetation ist es außerordent-
lich wichtig, dass nicht genutzte Flurstücke sowie
Wege, Mauern und Mauerkronen nicht mit Herbi-
ziden behandelt werden. Auf diese Bestimmung,
die sich bereits aus § 6 (2) Pflanzenschutzge-
setz
ergibt, weist die Verordnung hin. Weiter wird
festgelegt, dass Trockenmauerwerk weder mit
Mörtel verfugt noch durch Betonmauern ersetzt
werden darf.
Zur gegenseitigen Information und zum Interes-
sensausgleich schien es sinnvoll, in der Verord-
nung die Bildung eines
Beirats
aus Vertretern
der Weingärtner, des Naturschutzes, der Land-
wirtschaft und der Kommune vorzusehen. Pfle-
ge- und Entwicklungsmaßnahmen sollen hier
entwickelt und abgestimmt werden; Probleme
sollen mit dem Ziel gemeinsamer Lösung erör-
tert werden. Eine erste erfolgreiche Sitzung des
Beirats hat bereits stattgefunden.
Welche Berechtigung hat heute noch die Aus-
weisung von Naturschutzgebieten nach nati-
onalem Recht?
Seit der Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat
(FFH)-Richtlinie
1
und der Vogelschutz-Richtlinie
2
gibt es im Regierungsbezirk Karlsruhe 128.000
ha FFH- und Vogelschutz-Gebiete. Nicht weniger
als 18,6 % der Fläche des Regierungsbezirks
sind „Schutzgebiet“. Es ist daher eine berech-
tigte Frage: Brauchen wir „noch mehr“ Schutz-
gebiete bzw. Verordnungen? Was bringt die Aus-
weisung weiterer Naturschutzgebiete nach § 23
BNatSchG, meist auf Flächen, die bereits FFH-
oder Vogelschutzgebiet sind?
Hierfür gibt es gute Argumente
Das Verfahren zur Ausweisung von Naturschutz-
gebieten gemäß § 74 NatSchG kann ausgespro-
chen dialogorientiert, beteiligungsfreundlich und
bürgernah gestaltet werden. Die Identifikation
mit dem Gebiet, das Erkennen der Standortvor-
teile eines „eigenen“ Naturschutzgebietes ist den
Betroffenen zumindest möglich und kann sie zu
Beteiligten machen. In den hier vorgestellten Ge-
bieten nahm die
Akzeptanz
während der rund
zweijährigen Verfahrensdauer erkennbar zu. Na-
turschutzfreundliche Kräfte in den Ortschaften
wurden aktiviert und sorgen nun für dauerhaften,
weil lokal verankerten Schutz. In zwei Verord-
nungen haben wir deshalb
Beiräte
vorgesehen,
in denen alle Akteure Pflege und Entwicklung re-
gelmäßig abstimmen, Leitbilder für die Gebiete
entwickeln und so gemeinsam deren Zukunft
gestalten.
In besonderen Fällen – hier z.B. im NSG „Felsen-
gärten Mühlhausen“ – ist sogar ein handfester
Marketing-Vorteil
durch die Ausweisung eines
Naturschutzgebietes denkbar: Warum sollen die
Weingärtner nicht damit werben, dass ihr Steilla-
gen-Weinbau in einem Naturschutzgebiet statt-
findet, und ihre harte und schwere Arbeit auch
Lebensraum für Mauereidechse und Co. schafft?
Warum soll anderenorts eine Gemeinde nicht
damit werben, dass ihre Gemarkung so natur-
nah ist, dass sogar ein Naturschutzgebiet einge-
richtet werden konnte? Demgegenüber ist eine
lokale Identifikation mit den viele Gemarkungen
umfassenden, speziell ausgerichteten und in
einem „Konsultationsverfahren“ durchgesetzten
FFH- und Vogelschutzgebieten nicht feststellbar.
Weiter bietet eine NSG-Verordnung maßge-
schneiderten Schutz: Im Verfahren wird ausge-
lotet, welcher Regelungen es im Einzelnen be-
darf. Durch die Bekanntgabe eines FFH- oder
Vogelschutzgebietes ist dagegen noch nicht ge-
sagt, was konkret im Interesse des Schutzzwecks
zu beachten ist. Ihr begrenzter Schutz äußert
sich lediglich im abstrakten „Verschlechterungs-
verbot“ und äußert sich in der für alle „Projekte“
vorgeschriebenen, formalisierten „Verträglich-
keitsprüfung“ (allein die Diskussion, was in die-
sem Zusammenhang ein Projekt ist und was kein
Projekt ist, wird nie zu einem Ende kommen).
Zum dritten bietet die NSG-Verordnung
umfas-
senden Schutz
: Schutzzweck undVerbote gelten
für das gesamte Gebiet, für alle Lebensräume,
Tiere und Pflanzen. Demgegenüber sind in einem
FFH-Gebiet nur bestimmte Lebensraum“typen“
1
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhal-
tung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden
Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) (ABl. EG Nr. L 206 S.
7), zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates
vom 20. November 2006 (ABl. EG Nr. L 363 S. 368).
2
Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wild­
lebenden Vogelarten (ABl L20 vom 26. Januar 2010, S. 7).
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