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: Neue Naturschutzgebiete im Regierungsbezirk Karlsruhe
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(einschließlich der „darin vorkommenden cha-
rakteristischen Arten“, vgl. Art. 1 Buchstabe e
der FFH-Richtlinie) und die Populationen der
im Gebiet vorkommenden (sehr wenigen) Arten
des Anhangs II der Richtlinie geschützt. Ande-
re, in der FFH-Richtlinie nicht genannte Arten
und Lebensräume genießen keinen besonde-
ren Schutz, auch wenn sie schutzbedürftig sind.
Hiervon betroffen sind in den hier besprochenen
Gebieten die Lebensräume Steinbruch, Lese­
steinriegel, Trockenmauer und Kalkscherben­
acker, Sukzessionswald, Hecke, Feldgehölz und
Obstbaumbestand.
Auch Vogelschutzgebiete bieten nur einen se-
lektiven Schutz: Sie wurden für bestimmte Vo-
gelarten ausgewiesen. Im hier berührten Vogel-
schutzgebiet sind dies Eisvogel (Alcedo atthis),
Grau- und Mittelspecht (Picus canus, P. medius),
Halsbandschnäpper (Ficedula albicollis), Rot-
und Schwarzmilan (Milvus milvus, M. migrans),
Schwarzspecht (Dryocopus martius), Uhu (Bubo
bubo), Wachtelkönig (Crex crex), Wanderfalke
(Falco peregrinus) und Wespenbussard (Per-
nis apivorus). Schutzzweck des Vogelschutz-
Gebiets ist die Erhaltung oder Wiederherstel-
lung eines günstigen Erhaltungszustands der
Bestände und Lebensräume dieser Arten. Die
Schnittmenge mit den zahlreich vorkommenden,
zum erheblichen Teil ebenfalls schutzbedürftigen
Vogelarten beschränkt sich auf zwei oder drei
Arten. Für die Populationen der anderen „nicht
gemeinten“ Vogelarten existiert im Vogelschutz-
gebiet kein über das allgemein geltende Arten-
schutzrecht hinausreichender Schutz. Anders
dagegen im Naturschutzgebiet: Hier werden die
menschlichen Aktivitäten unter Berücksichtigung
der Bedürfnisse aller vorkommenden wildleben-
den Arten geregelt.
Der vierte Grund ist die
„Pflegeversicherung“
:
Landschaftspflege fand und findet in erster Linie
in Naturschutzgebieten statt. Nur so können die
Lebensräume der historischen Kulturlandschaft
erhalten werden. Das Mähen der Wiesen, das
Beweiden der Magerrasen, das Freistellen von
Felsköpfen und Bachufern, das auf-den-Stock-
Setzen von Hecken kostet Geld. Naturschutz-
gebiete sind in der Kulturlandschaft die höchste
Schutzkategorie des Bundesnaturschutzge-
setzes und werden daher auch in Zukunft mit be-
sonderer Aufmerksamkeit beobachtet und soweit
nötig gepflegt werden. Eine Ausweisung als Na-
turschutzgebiet durch die Landesverwaltung ent-
spricht damit einer Art „Pflegeversicherung“: Das
Land versichert, sich um die Landschaftspflege
dieser Gebiete so weit wie möglich zu kümmern.
Der Gesetzgeber hat die Ausweisung eines
Schutzgebietes zum Schutz der FFH- und Vo-
gelschutzgebiete ausdrücklich vorgesehen
(§ 32  (2) und (3) BNatSchG). Dies ist in Baden-
Württemberg bezüglich der Vogelschutzgebiete
nur in formaler Weise erfolgt
1
und für die FFH-
Gebiete bisher nicht vorgesehen. Fraglich ist,
ob – wie von der Landesregierung angestrebt –
allein der Vertragsnaturschutz in heutiger Form
einen „gleichwertigen“ Schutz im Sinne von § 32
(4) BNatSchG gewährleistet: Er richtet sich nicht
gegen Störungen durch Dritte, er trägt nicht zur
Akzeptanz der Gebiete in der Bevölkerung bei,
und die Möglichkeit der Vertragsaufgabe nach
Beendigung der Laufzeit konterkariert die Not-
wendigkeit eines langfristigen Schutzes.
„Neue Naturschutzgebiete“ bedeutet also: nicht
mehr Schutzgebiete, sondern besseren Schutz.
Danksagung
Mein Dank gilt den ehrenamtlich tätigen Naturfreunden,
die die Gebiete teilweise seit Jahrzehnten beobachten,
pflegen und in Exkursionen der Öffentlichkeit bekannt
und zugänglich machen, sowie den Menschen, die
sich in Kommunen, Gemeinderäten, Landkreis- und
Landesverwaltung für den Naturschutz einsetzen und
die Unterschutzstellungsverfahren aktiv und äußerst
hilfreich unterstützt haben.
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1
Verordnung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen
Raum zur Festlegung von Europäischen Vogelschutzgebie-
ten vom 05. Februar 2010, GBL Nr. 3, S. 37.
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