Andrias 19 - page 288

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andrias, 19
(2012)
1 Einleitung
Im Vergleich zu anderen Organismengruppen
wie Tieren oder Pflanzen ist die Anzahl der
„Neubürger“ unter den Pilzen eher gering
,
wobei
sich die Verteilung innerhalb der taxonomischen
Hauptgruppen aber wohl unterschiedlich dar-
stellt (S
choller
& M
üller
2008). Innerhalb der
Basidiomyceten gut dokumentiert ist der Fall des
Tintenfischpilzes, Anthurus archeri (B
erkeley
)
E. F
ischer
, der erstmals 1913 in den Vogesen
beobachtet wurde und sich seitdem erfolgreich
über weite Teile Europas ausgebreitet hat (z.B.
B
reitenbach
& K
ränzlin
1986)
.
Von einer nach­
teiligen Auswirkung dieses schönen Pilzes auf
seine Umwelt ist nichts bekannt.
Im Gegensatz dazu stehen naturgemäß phyto-
pathogene Pilze, oft aus dem Bereich der Asco-
myceten: Ein bekanntes Beispiel innerhalb der
Kulturform Weinbau betrifft beispielsweise die
seit 1845 in Europa belegte Art Erysiphe necator
S
chwein
., den Echten Mehltau. Der Erreger der
sog. Schwarzfäule, Guignardia bidwellii (E
llis
)
V
iala
& R
avaz
, stammt ebenfalls ursprünglich
aus Nordamerika und wird seit Mitte der 1980er
Jahre auch in Europa nachgewiesen. Auch Plas-
mopara viticola (B
erk
. & M.A. C
urtis
) B
erl
. &
de
T
oni
, der Falsche Mehltau des Weins, ein Oomy-
cet (Algenpilz), ist eine eingeschleppte Art. Die
Auswirkungen all dieser Organismen auf den
Weinbau können ohne geeignete Kontrollmaß-
nahmen verheerend sein. „Neubürger“ unter den
Basidiomyceten waren als ernsthafte Pathogene
bislang nicht auffällig geworden. Für Mitteleuropa
liegt aber mit dem Einzug der sog. Esca-Krank-
heit der Weinrebe wohl ein erstes Beispiel vor.
Diese wahrscheinlich bereits in der Antike aus
dem Mittelmeerraum bekannte Holzkrankheit
(M
ugnai
et al. 1999) wurde in Deutschland erst-
malig Mitte der 1980er Jahre, im Markgräflerland
südlich von Freiburg, festgestellt (K
assemeyer
et
al. 2002). Seinerzeit noch als exotisch betrach-
tet, hat sich die Krankheit inzwischen in allen
Weinbauregionen Deutschlands (und der ande-
ren mitteleuropäischen Weinbauländer) etabliert.
Da mit herkömmlichen Behandlungsmethoden
nicht kontrollierbar, wird sie inzwischen als das
größte Problem für den europäischen Weinbau
betrachtet.
In einer Sukzession holzbewohnender Pilze stellt
der Mittelmeer-Feuerschwamm, Fomitiporia me-
diterranea M. F
ischer
(F
ischer
2002), das letzte
Glied in der Kette der Esca-Erreger dar. Der Pilz
bildet unauffällige krustenförmige mehrjährige
Fruchtkörper, meist im Stammkopfbereich ab-
gestorbener Reben (s. auch Tafel 1, Abb. 1). Die
ursprünglich nur sehr kleine Gattung Fomitiporia
M
urrill
(vormals: Phellinus robustus-Gruppe)
umfasst inzwischen weltweit etwa zwei Dutzend
Arten, belegt vor allem durch die sehr umfang-
reichen Arbeiten von D
ecock
und Mitarbeitern
(D
ecock
et al. 2005, 2007; A
malfi
et al. 2010), in
geringerem Umfang auch durch eigene Arbeiten
(F
ischer
& B
inder
2004; F
ischer
et al. 2005) bzw.
durch die Gruppe um Y.-C. D
ai
(D
ai
& Z
ang
2002;
D
ai
et al. 2008). Auffällig für Fomitiporia ist der
beträchtliche Anteil von Arten als Bewohner von
Rebholz, auch wenn dies möglicherweise durch
die intensiven Untersuchungen auf diesem öko-
nomisch bedeutsamen Gebiet bedingt ist.
Wichtige Grundlagen einer möglichen Einführung
von Neobiota liegen allgemein in der Globalisie-
rung des Handels, im vorliegenden speziellen Fall
beispielsweise in der zunehmenden Internationa-
lisierung des Pflanzgutverkehrs seit den 1980er
Jahren (S
urico
et al. 2006). Ist eine gebietsfremde
Art erst einmal in eine neue Umgebung einge-
führt, muss sie sich im Sinne einer Etablierung
dort auch behaupten und ggf. ausbreiten können.
Eine Monokultur wie der Wein leistet diesem „Vor-
haben“ naturgemäß Vorschub; Eigenschaften wie
schnelles Wachstum, erhöhte Fortpflanzungsrate
etc. sind dabei jedenfalls von Vorteil und konnten
für F. mediterranea teilweise auch nachgewiesen
werden (F
ischer
2002, 2009).
Die vorliegende Darstellung beschreibt Lang-
zeiterhebungen auf einer Weinbaufläche im Kai-
serstuhl in den Jahren 2002-2007. Im Blickpunkt
standen dabei Beobachtungen zur Entwicklung
und Verbreitung von Fruchtkörpern der Art F.
mediterranea. Als Träger der infektiösen Struk-
turen, d.h. der Sporen, sind diese im epidemio-
logischen Sinne von besonderer Bedeutung. Zu-
sätzlich wurden Erhebungen zum Auftreten der
vegetativen Strukturen, d.h. des Mycels, inner-
halb des Holzes betroffener Rebstöcke durchge-
führt. Nachträglich erhobene Kreuzungsdaten,
beruhend auf einer Auswahl isolierter Reinkul-
turen, sollten Einblicke in die mögliche Epidemi-
ologie des Pilzes liefern (s. auch C
ortesi
et al.
2000). Eine vorläufige Übersicht zeigt das bisher
nachgewiesene Auftreten des Mittelmeer-Feuer-
schwammes innerhalb der badischen und, zu-
mindest andeutungsweise, deutschen Weinbau-
gebiete. Diskutiert wird des Weiteren die Frage
nach einer möglichen Wirtsbindung der Art in
Abhängigkeit von geographischer Region und
Zeitdauer seit erfolgter Etablierung.
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