Andrias 19 - page 366

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andrias, 19
(2012)
tisch‘ her (Gesetzgeber und Verwaltungsbeamte
aller Zeiten und Couleurs haben die Neigung,
Tatbestände zu erfinden und Tatbestandslücken
theoretisch auszumerzen)“. Der Autor geht also
davon aus, dass Priester das Vorhandensein von
Aussatz an Häusern erfunden haben. Dann hät-
ten sie die Symptome aber so konstruiert, dass
Häuser-Aussatz niemals diagnostiziert werden
konnte. Würde es zu einer inquisitorischen Ge-
sinnung nicht besser passen, möglichst häufige
Erscheinungen als gefährlich zu denunzieren?
Das Gebot für Aussatz an Häusern kommt ins-
gesamt so gemäßigt daher, dass eher ein zöger-
licher Geist hinter ihm zu stehen scheint. Insbe-
sondere fällt auf, dass der wertvolle Hausrat aus
einem verdächtigen Haus entfernt werden soll,
bevor der Priester kommt, um seine Diagnose
zu stellen. Das bedeutet: Wenn der Priester fest-
stellt, dass es sich um Häuser-Aussatz handelt,
muss der Hausrat verbrannt werden – er gilt also
als ansteckend. Wenn der Hausrat aber vor der
Diagnose aus dem Haus herausgebracht wurde,
darf er weiter benutzt werden. Aber hygienisch
belastet wäre er dann ja auch, so dass das ge-
schilderte Verfahren leichtsinnig wäre.
Leichtsinn läge aber nicht vor, wenn die Priester
mit ihrem Gesetzestext auf eine Überängstlich-
keit reagieren wollten, die auf Seiten des Volkes
verbreitet war. Die Schwere der menschlichen
Aussatz-Krankheiten hätte leicht dazu führen
können, dass in der Bevölkerung Schimmel o.
ä. an Wänden als Ansteckungsherde gefürchtet
wurden. Die Priester hätten diese Ängste da-
durch kanalisiert, dass sie „gefährlichen Aus-
satz an Wänden“ zwar definierten, aber nur so,
dass er menschlichem Aussatz äußerlich äh-
nelte (Vertiefungen) und gleichzeitig niemals in
der Realität auftrat. Bei der Beschreibung der
Farbe von Häuseraussatz könnten sie durch die
möglicherweise bekannten Beschreibungen von
mesopotamischen Auswüchsen an Gebäuden
beeinflusst gewesen sein. In diesem Falle wäre
faktisch kein einziges Haus jemals aufgrund der
Weisung in Lev 14 abgerissen worden, weil es
die Kombination von mikrobiellem Befall und Ver-
tiefung des Substrates nicht gibt.
Auszuschließen zu sein scheint mir, dass die
Priester einer fehlerhaften Beobachtung aufge-
sessen sind. Diese könnte dadurch erfolgt sein,
dass sich Schimmelkolonien o.ä. vorwiegend in
bauseitig schon vorhandenen Mulden oder Lö-
chern in der Wand ansiedeln, weil sich hier ver-
mehrt Feuchtigkeit niederschlägt (z.B. beim Ko-
chen). Die Priester hätten dann den ursächlichen
Zusammenhang zwischen Befall und Vertiefung
falsch gedeutet. In der Häuseraussatz-Tora wird
aber vorausgesetzt, dass die Kolonien sich auf
bisher noch nicht befallenes Mauerwerk ausbrei-
ten können. Dann wäre aber schnell aufgefallen,
dass die Ausbreitung sich auf bereits vorhan-
dene Vertiefungen konzentriert, so dass nicht der
Häuseraussatz die Mulden verursacht, sondern
umgekehrt. Das spricht stark gegen die Annah-
me einer fehlerhaften Beobachtung seitens der
Priesterschaft.
Aus all diesen Gründen kann ausgeschlossen
werden, dass in Lev 14 der Hausschwamm be-
schrieben wird. In die Symptomatik mögen mehr
oder weniger indirekt Erfahrungen mit Schimmel-,
Algen- oder Bakterienbefall mit eingegangen
sein. Welcher Mikroorganismus genau im Hinter-
grund der Tora für Zara’at an Häusern gestanden
haben könnte, lässt sich heute nicht mehr klären.
Die Anzahl von grünlichen, gelblichen oder röt-
lichen Mikroorganismen ist Legion, und eine um-
fassende Mykota von Israel/Palästina bietet eine
reiche Auswahl von möglichen Kandidaten (vgl.
N
evo
& V
olz
2000-2011). Der Hausschwamm je-
denfalls wird in Leviticus nicht beschrieben, so
wie auch die Hansen’sche Krankheit nicht mehr
einfach mit „Aussatz von Menschen“ identifiziert
werden kann.
Dank
Für Angaben zum Vorkommen des Hausschwamms
und zur Flora von Israel danke ich Prof. S
olomon
P.
W
asser
und K
yrylo
S
avchenko
. Herr N
ing
S
ang
über-
setzte mir freundlicherweise einen chinesischen Text
und Herrn Dr. M
arkus
S
choller
sei für die Überlas-
sung von Literatur und zweier Hausschwamm-Fotos
gedankt.
Literatur
A
nonym
I (2012): Gesetz über den Aussatz an Häusern,
eine alttestamentarische Norm für die Bekämpfung
des Echten Hausschwamms. −
/
seiten/rechtat.html (Abruf 2. Mai 2012).
A
nonym
II (2012): Steckbrief Echter Hausschwamm.
linge/pflanzlich/echter_hausschwamm.html (Abruf
29. April 2012).
A
nonym
III (2012): Echter Hausschwamm (EHS). Bio-
logie, Vorkommen & wirtschaftliche Bedeutung. −
(Abruf
29. April 2012).
A
nonym
IV (2012): Hausschwamm. Analyse schnell,
genau und sicher! −
-
analytik.php?webyep_di=8 (Abruf 29. April 2012).
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