W
einhardt
: Hausschwamm in der Bibel?
299
hätte S. lacrymans in Randgebieten (Flussauen,
Seeufer, Oasen) an Gebäuden vorkommen kön-
nen. Wenn die entsprechende Tora aus der Zeit
nach 1.000 vor Christus stammen würde, könnte
sie sich also auf diesen Pilz beziehen – müsste
es aber natürlich nicht. (2) In der späteren Kö-
nigszeit ist das Vorkommen von Hausschwamm
in Israel unwahrscheinlich. Hätte sich die Tora in
der Zeit von ca. 950-600 vor Christus entwickelt,
müsste sie von einem anderen Phänomen aus-
gelöst worden sein. (3) Wenn das Häuseraus-
satz-Gebot in der Zeit des babylonischen Exils
aus mesopotamischen Traditionen in die Gesetze
Judäas eingewandert wäre, hätte es ursprüng-
lich von S. lacrymans handeln können – müsste
es aber nicht.
Nun liefert die linguistische und formgeschicht-
liche Untersuchung der Tora für Aussatz an
Häusern starke Indizien dafür, dass diese Verse
eher späteren als früheren Ursprungs sind (S
eidl
1982: 64-66, 239f., 243
4
). Damit ist die babylo-
nische Herkunft dieser Tradition zwar noch nicht
zwingend erwiesen, aber Fall (1) auf jeden Fall
ausgeschlossen.
Morphologie
Zara’at an Wänden besteht in grünlich gelben
oder rötlichen Flecken an der Wand. Diese Far-
ben könnte man notfalls mit den anfänglich hel-
len, dann rötlich bzw. rötlichbraunen Fruchtkör-
pern des Hausschwamms in Verbindung bringen.
Die in Lev 14 beschriebenen Flecken bilden aber
gleichzeitig Vertiefungen in Mauer oder Mör-
tel (nicht in Holz!). Kein bekannter Organismus
verursacht solche Mulden. Hingegen können
Mulden in der Wandoberfläche Mikroorganismen
bessere Lebensbedingungen bieten (Feuchtig-
keit, kühlere Temperatur).
Die exegetische Literatur geht bei ihrer Ausle-
gung des Bibeltextes auf diese Schwierigkeit
nicht immer ein. E
lliger
(1966: 163) etwa über-
setzt Vers 14,37 mit: „Befall an den Wänden des
Hauses in grünlichen oder rötlichen Nestern [...],
die tiefer liegend erscheinen als die Wand“. Auch
seine Deutung geht auf „Hausschwamm und ähn-
lichem bei Feuchtigkeit entstehendem Pilzbelag“
(189) bzw. auf „Schimmelbildungen“ (185). L
am
-
pater
(1980: 42) ist der Meinung, mit dem Häu-
ser-Aussatz sei „an Schimmelpilze, Flechten,
Stockflecken und dergleichen gedacht“. Doch bei
keinem der genannten Phänomene kommt es zu
Vertiefungen im Substrat.
M
aier
(1994: 257)
ist bei der Identifizierung des
Häuser-Aussatzes vorsichtiger: „Es gelang bis-
her nicht, den biblischen Aussatz an Häusern mit
modernen Diagnosen (Salpeter o.ä.) in Deckung
zu bringen.“
5
Man könnte noch überlegen, ob es sich bei dem
biblischen Phänomen nicht um einen Organis-
mus, sondern um eine chemische Reaktion han-
delt, die ihre Unterlage zerstört. Aber die spon-
tane Entstehung von derart starken Reagenzien
ist auf der Grundlage der bekannten Chemie
auszuschließen. Was aber haben die Priester
dann an den Hauswänden beobachtet?
Häuser-Aussatz als Konstrukt?
Es besteht noch die Möglichkeit, dass die Be-
schreibung von Aussatz an Häusern überhaupt
nicht auf eine empirische Beobachtung zu-
rück geht. In diese Richtung weist G
erstenber
-
ger
(1993: 174f.), der zwar auch von „Pilz- und
Schwammbefall von Mauern“ spricht, dann aber
einen weiteren Gedanken einbringt. Das Gesetz
könnte nämlich „lediglich theologische Spekula-
tion gewesen“ sein. Für G
erstenberger
(1993:
176) ist der Anlass für diese Überlegung nicht
der, den wir hier ausführen, dass nämlich das
in Lev 14,37 beschriebene Phänomen als Na-
turvorgang nicht vorstellbar ist. Für ihn ist der
Gesetzestext vielmehr eine Fortschreibung bzw.
Konsequenzmacherei aus der Tora für Aussatz
an Menschen: „In ihrem Eifer für das Wohl der
Gemeinde und für ihre eigene Position als Sach-
verständige Gottes hätten Priester den ‚bösar-
tigen Ausschlag‘ bis an die Schlafzimmerwände
verfolgt, vielleicht nur theoretisch vom ,Schreib-
4
Auch S
taubli
(31: 122) hält die Tora über Aussatz an Häusern
für einen späten Bestandteil der Aussatz-Tora und schreibt
sie der Schule zu, die auch das Heiligkeitsgesetz Lev 17-26
verfasste. Ähnlich auch E
lliger
(1966: 176).
5
Salpeterausblühungen spielten in der älteren Exegese von
Lev 14 eine gewisse Rolle, werden aber inzwischen als
Fehldeutung erkannt: „Den Häuseraussatz deutet man ge-
wöhnlich auf den Salpeterfrass; noch besser wird an gewisse
flechtenartige Structuren (Lepraria) zu denken sein“ (B
ae
-
ntsch
1903: 375). Der Salpeter-Deutung schließt sich noch
S
naith
(1967: 104) an: „This may be the fungus of dry rot
which sometimes forms a layer of greenish or reddish mate-
rial between lath and plaster, or it may be a deposit of calcium
nitrate which can form by the action of the gases of decay-
ing matter on the lime of the plaster, sometimes called mural
salt“, ebenso H
artley
(1992: 198f.): „The growth might be a
fungus, a mold, or dry rot; or it might be the piling up of cal-
cium nitrate, which results from the gases of decaying mate-
rial on the lime of the plaster [...]. Another possibility could be
the activity of some insects within the walls“. M
ilgrom
(1991:
870f.) weist dies jedoch zurück: „The color of the eruption
indicates that it is a type of mold or fungus, not a deterioration
by the formation of saltpeter“.