Andrias 19 - page 360

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andrias, 19
(2012)
Im Folgenden wird untersucht, ob die Gleichset-
zung von biblischer Zara’at an Häusern mit S.
lacrymans gerechtfertigt ist. Zunächst wird der
Pilz anhand einschlägiger Literatur morpholo-
gisch, ökologisch und chorologisch beschrieben.
Danach soll der betreffende Bibeltext untersucht
werden, um die Identifikation des Zara’at-Phä-
nomens mit Hausschwamm nach Möglichkeit zu
überprüfen.
2 Serpula lacrymans: Morphologie, Ökologie
und Verbreitung
Morphologie
Serpula lacrymans gehört in die Ordnung Bole-
tales der Klasse Agaricomycetes. Der Pilz bildet
ein watteartiges Luftmyzel, das später zu grauen
Häuten zusammenfällt, sowie dicke, lappige My-
zelpolster auf dem Substrat. Von diesen können
zunächst weiße Myzelstränge (Abb. 2) abgehen,
die bis zu 10 mm im Durchmesser erreichen. Sie
bestehen aus Faserhyphen mit verdickten Zell-
wänden und weitlumigen Gefäßhyphen. Diese
Rhizomorphen ermöglichen dem Pilz das Durch-
wachsen von unwirtlichem Material, etwa Fugen
und Mauern. Die Fruchtkörper sind resupinat bis
effuso-reflex. Sie bilden fladenartige, 3-10 mm
dicke Überzüge, die bis zu einem Quadratme-
ter groß werden können (Abb. 1). Gelegentlich
kommt es zu konsolenförmigen Fruchtkörperbil-
dungen, die einige cm von der Unterlage abste-
hen. Das Fleisch ist weich, aber zäh. Das Hyme-
nophor zeigt grubenartige Vertiefungen, die auch
labyrinthartig (merulioid) oder unregelmäßig
porenförmig aussehen können (Abb. 3). Der Zu-
wachsrand des Fruchtkörpers ist weiß und wat-
teartig und sondert gelegentlich Wassertropfen
ab (Artepitheton: lacryma – Träne). Mit zuneh-
mendem Alter verfärbt er sich aufgrund der sehr
reichlichen Sporenbildung gelblich, dann rötlich,
zuletzt braun (vgl. W
eiss
et al. 2000: 51). Bei
ausreichend Substrat und Feuchtigkeit können
Myzelien große Flächen in Räumen überziehen.
N
uss
(2009: 10) macht den bemerkenswerten
Vergleich, dass diese Myzelmatten von S. la-
crymans für Wärmedämm-Materialien gehalten
werden können.
Das Areal des Hausschwamms und seine an-
thropogene Verbreitung
Nach K
auserud
et al. (2007: 3550f., vgl. 3357f.)
stammt S. lacrymans von einer Wildform ab, die
in regenreichen Gebieten des Himalaya heimisch
ist. Die Art konnte sich synanthrop vermutlich
durch Holzhandel und Schiffbau ausbreiten und
kommt heute in den kühlen Ländern Europas, in
Neuseeland, im nördlichen China sowie in Mit-
tel- und Nordamerika vor, jedoch niemals wild,
sondern nur in feuchten Häusern oder anderen
Artefakten (z.B. W
ebster
1983: 431; A
rora
1986:
610; K
rieglsteiner
2000: 368f., M
ao
2009: 524).
Ökologische Ansprüche
Serpula lacrymans ist ein Braunfäuleerreger, der
fast ausschließlich Nadelholz aus den verschie-
densten Verwandschaftskreisen befällt. Außer-
halb seines natürlichen Areals tritt er vorwiegend
auf Bauholz in Altbauten mit schlechter Durchlüf-
tung auf (z.B. B
reitenbach
& K
ränzlin
, 1986: 210,
W
eiss
et al., 2000: 51). Nach Untersuchungen
von G
rosser
(2008) kann das Myzel dauerhafte
Wärme von 40 °C und höher überleben. W
eiss
et
al. (2000: 51) geben als Optimum für das Wachs-
tum des Pilzes 18-22 °C, als tolerabel hingegen
3-26 °C an, W
ebster
(1983: 431) gibt ein Tem-
peraturoptimum von 23 °C und ein Maximum
von 26 °C an. Was die Feuchtigkeit anbelangt,
so erfordert das Wachstum bzw. Überleben des
Hausschwammes eine Holzfeuchtigkeit von 20
bis 60 % (W
eiss
et al. 2000: 51).
Nach dieser Charakterisierung des Pilzes wen-
den wir uns nun dem Bibeltext zu, der angeblich
vom Hausschwamm handelt.
3 Zara’at an Häusern nach Lev 14,33-53
Der biblische Text wird im Folgenden nach der
ökumenischen Einheitsübersetzung wiederge-
geben (Zwischenüberschriften stammen vom
Verfasser):
Redaktionelle Einleitung
33
Der Herr sprach zu Mose und Aaron:
Das Phänomen Zara’at an Wänden
34
Wenn ihr in das Land Kanaan kommt, das ich
euch zum Besitz gebe, und ich lasse an einem
Haus des Landes, das ihr besitzen werdet, Aus-
satz auftreten,
35
so soll der Hausherr kommen,
es dem Priester anzeigen und sagen: Ich habe
an meinem Haus so etwas wie Aussatz gesehen.
36
Der Priester soll anordnen, dass man das Haus
räumt, bevor er kommt, um das Übel zu unter-
suchen; auf diese Weise wird das, was sich im
Haus befindet, nicht unrein. Danach erst soll der
Priester kommen, um das Haus zu besichtigen.
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