Andrias 19 - page 353

S
chofer
: J
ulius
H
auck
(1876-1966), ein patriotischer Pilzkundler
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ergänzen. Aber der Pilzführer sollte nicht nur der
Belehrung des Publikums, sondern auch seiner
eigenen Bequemlichkeit dienen. Er schrieb dazu:
„Um die auf manchen Pilzausstellungen üblichen
stundenlangen, an Sprachwerkzeuge und Lunge
große Anforderungen stellenden Vorträge ent-
behrlich zu machen, habe ich in meinen Ausstel-
lungen folgende Einrichtung getroffen: Sämtliche
ausgestellten Pilze sind mit Nummern versehen.
Schlägt man nun im Pilzführer die gleiche Num-
mer auf, so wird man über den betreffenden Pilz
alles Wissenswerte finden: Fundort, Standort,
Wert (ob eßbar, ungenießbar oder giftig). Bei
vielen Pilzen ist angegeben, auf welche Art sie
sich zubereiten lassen. Dabei fehlt auch nicht
der Hinweis auf die Verwechslungsmöglichkeit
einzelner Speisepilze mit ungenießbaren oder
giftigen Doppelgängern nebst genauer Angabe
ihrer, meist tabellarisch aufgelisteten, Unter-
scheidungsmerkmale“ (H
auck
1917a, Vorwort).
Um seinen Führer übersichtlich zu gestalten,
teilte er die Pilze, in Anlehnung an die 11 Lin-
néschen Gattungen, in 11 Familien ein, die er
aber für seinen Bedarf modifizierte. Er verzich-
tete auf die, wie er meinte, bei uns nicht vorkom-
mende Trüffel und andere Gattungen. H
auck
legte
sich auf folgende Familien fest: 1. Blätterpilze,
2. Löcherpilze, 3. Stachelpilze, 4. Keulenpilze,
5. Staubpilze, 6. Rindenpilze, 7. Morchlinge, 8.
Gallertpilze, 9. Becherpilze, 10. Holzpilze und
11. Lorchelpilze (H
auck
1917a, Vorwort). Aus pä-
dagogischen Gründen teilte er die Pilze in drei
Abteilungen. Dazu zog er aus allen Familien die
giftigen und die ungenießbaren Pilze heraus und
besprach sie separat von den Speisepilzen in ei-
genen Abteilungen. Auch in den Ausstellungen
sind ihnen eigene Abteilungen zugewiesen. Für
giftig hielt er lediglich 8 Pilze (deutsche und bo-
tanische Namen werden unverändert aus H
auck
übernommen): Die Knollenblätterpilze (Amanita
bulbosa) nämlich: Den Grünen (A. viridis), den
Weißen (A. verna) und den Gelben (A. mappa)
Knollenblätterpilz, den Fliegenpilz (A. muscaria),
den Speitäubling (Russula emetica), den Birken-
Reizker (Lactarius torminosus), den Satanspilz
(Boletus satanas) und den Kartoffelbovist (Scle-
roderma vulgare).
In der Abteilung der „Ungenießbaren Pilze“ fin-
den sich 55 Arten, die auch heute noch bei nicht
allzu erfahrenen Sammlern im Korb landen:
Darunter Gallen-Röhrling (Boletus felleus), Bü-
scheliger Schwefelkopf (Hypholoma fasciculare),
Grünspanpilz (Stropharia viridula) oder scharfe
Milchlinge und Täublinge. Weiter konnten die
Besucher stattliche Porlinge und Zunderpilze
bestaunen und sich über so manches Ausstel-
lungsobjekt wundern, das nicht auf Anhieb als
Pilz zu erkennen war, wie den als Erlenschwamm
bezeichneten Spaltblättling (Schizophyllum com-
mune), den Strauchförmigen Rindenpilz (Tele-
phora palmata), verschiedene Holzkeulen (Xy-
laria polymorpha und X. hypoxylon), Teuerlinge
(Cyathus crucibulus und C. striatus), den Ein-
geweide-Zitterpilz (Tremella mesenterica), auch
den Ohrlöffelpilz (Hydnum auriscalpium) mitsamt
seinem Zapfensubstrat oder den Schlüpfrigen
Kappenpilz (Leotia lubrica).
Zu den essbaren Pilzen zählte H
auck
143 in
unseren Wäldern, d.h. vom Odenwald bis zum
mittleren Schwarzwald vorkommende Arten. Die
meisten der genannten Arten sind auch heu-
te noch begehrte Speisepilze, angefangen bei
Steinpilz, Marone, Parasol, Perlpilz, Pfifferling,
Champignon, Fichtenreizker, Totentrompete
oder Schopftintling. Aber auch Dachpilze, Lack-
trichterlinge, Rüblinge oder Falsche Pfifferlinge
zählte er zu den guten Speisepilzen. Als essbar
bis gut bezeichnete er Erdsterne (Geaster stel-
latus, G. coronatus und G. fimbriatus) oder die
Herkuleskeule (Clavaria pistillaris), die doch
ziemlich bitter schmeckt. Ob hier eine Verwechs-
lung mit der Abgestutzten Keule (Clavariadel-
phus truncatus) vorliegt? Dass H
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mit gro­
ßem Bedauern immer wieder über Vergiftungen
zu berichten wusste, kann uns nach heutigem
Kenntnisstand nicht verwundern: Was geschah,
wenn ein Sammler, der in der Ausstellung den
Mehlpilz (Rhodosporus prunulus) als guten, „un-
verwechselbaren“ Speisepilz kennen lernte, ihn
mit einem giftigen, weißen Trichterling verwech-
selte? Was geschah nach dem Verspeisen vom
Blutroten Hautkopf (Cortinarius sanguineus) oder
dem Zimmet-Hautkopf (Cortinarius cinnamome-
us)? Ob ein Mordschwamm (Lactarius turpis),
wenn auch lange gebraten, bekömmlich war?
Kahler Krempling (Paxillus involutus) und Falten-
Tintling (Coprinus atramentarius) fanden sicher
auch damals schon ihre Opfer und Rosa Helm-
pilze (Mycena rosea und M. pura) verursachten,
in Mengen genossen, auch zu dieser Zeit schon
muscarinbedingte „Höhenflüge“. Das alles kann
H
auck
noch nicht gewusst haben.
H
auck
war ein guter praktischer Pilzkenner, mit
wissenschaftlichem Arbeiten war er jedoch nicht
vertraut. Gestützt wird diese Beobachtung bei-
spielsweise durch einen Artikel, den H
auck
in
der Eberbacher Zeitung veröffentlichte, in dem
er sensorisch wahrnehmbare Merkmale eines
1...,343,344,345,346,347,348,349,350,351,352 354,355,356,357,358,359,360,361,362,363,...376
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